Von der Verwischung der Unterschiede

Vielfalt in Einfalt: Die Ausstellung „Mythen der Nationen“ im Deutschen Historischen Museum fragt nach den kollektiven Erinnerungen der Völker im Europa der Nachkriegszeit. Dabei wird passend gemacht, was passen soll

Das Hipo-Spiel ist kein Brettspiel für Friedenszeiten: Man kann bei dieser dänischen Mensch-Ärgere-dich-nicht-Variante mit seinem Hütchen auf Spielfelder geraten, in denen die Figur von Hilfspolizisten – Hipos – geschlagen, getreten oder erschossen wird. Ganz anders dagegen die britische Version „Dad’s Army“: Hier hat eine tollpatschige Truppe eine Menge Spaß am Krieg.

Es sind solche Exponate, die sehr anschaulich zeigen, wie unterschiedlich im Nachkriegs-Europa mit der Erinnerung an die traumatischen Kriegsjahre verfahren wurde. Das Jahr 1945 ist der Kristallisationspunkt in der Ausstellung „Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen“, die seit Samstag im Deutschen Historischen Museum zu sehen ist. Aus der Erschütterung des Zusammenbruchs im Jahre 1945 mussten sich, so die These, die europäischen Staaten neue Erinnerungsmythen konstruieren – entweder aus dem Sieg oder Widerstand.

Um nach diesen kollektiven Erinnerungen – den „Meistererzählungen“ – der Völker zu forschen und Zusammenhänge aufzuzeigen, werden nicht weniger als dreißig Staaten, darunter auch die USA und Israel, in das Untersuchungsfeld aufgenommen. Allerdings stellt sich im Rundgang die Erfahrung der versprochenen „unendlichen Vielfalt der Erinnerung“ nicht ein. Eher wirken Teile der Ausstellung stark vereinfachend. Wird die Verdrängung der Kollaboration nach dem Krieg in den Niederlanden dokumentiert, heißt es, dort habe der Mythos des „unschuldig angegriffenen Volkes“ vorgeherrscht. Waren die Niederlande schuldig überfallen worden?

Über die Dänen heißt es, sie hätten sich „praktisch alle als Widerstandskämpfer“ gefühlt. Soll suggeriert werden, sie hätten wie doch alle Dreck am Stecken gehabt? Dass zum Beispiel die meisten dänischen Juden gerettet wurden und in einer Solidaritätsaktion nichtjüdische Dänen den gelben Stern ans Revers hefteten – eine in Nazi-Deutschland undenkbare Aktion –, bleibt unerwähnt. Hier schärfen die „Parallelerzählungen“ nicht „den Blick für das Gemeinsame“, sondern verwischen Unterschiede. Mitunter haftet den Texten eine ideologische Färbung an, die an den Kalten Krieg erinnert. Zum Film „Jacob der Lügner“ heißt es, die DDR hätte mit diesem Film perfiderweise demonstrieren können, „wie liberal und antifaschistisch sie sei“. Hätte sie den Film verbieten sollen, um nicht so zu erscheinen? Bei aller Notwendigkeit, in Ausstellungstexten zuzuspitzen, erlebt der Betrachter, der nicht den knapp 1.000 Seiten langen Ausstellungskatalog gelesen hat, eine wenig differenzierte Darstellung.

Es stellt sich auch die Frage, wie wirkungsvoll die Präsentation des Materials ist. Da das Medium Film „an den Mythenbildungen nach 1945 maßgeblich beteiligt“ gewesen sei, werden an über fünfzig Stationen Filmausschnitte gezeigt – doch die Dokumente verlieren in ihrer Fülle an Reiz. Auch hier erlebt man, wie passend gemacht wird, was passen soll. Dass ausgerechnet Billy Wilders Film „A Foreign Affair“ von 1948 als Exempel der Weigerung dargestellt wird, „das Nachkriegs-Berlin in Gut und Böse zu teilen, und nicht etwa die Anklage zu verstärken“, ist angesichts der Darstellung der Deutschen im Film als unbelehrbare Mitläufer Unsinn. Ob in der Ausstellung wirklich ein „authentischer europäischer Blick gewährleistet“ wird, scheint zweifelhaft. Das Bemühen, in aller Vielfalt eine doch irgendwie kompatible europäische Erinnerungsgemeinsamkeit zu kreieren, sieht eher nach der Konstruktion eines neuen Mythos aus. CHRISTIAN BERNDT

DHM, Unter den Linden, Mitte, bis 27. Februar 2005, Katalog: 50 €