Schmerzhaftes Gedenken

Thomas T. Blatt, Überlebender des Aufstands im – in der Shoah-Forschung oft ausgeblendeten – Vernichtungslager Sobibór von 1943, liest aus seinen Erinnerungen

Die systematische Ermordung des europäischen Judentums hatte viele Orte. Die Vernichtungslager Bełżec, Treblinka und Sobibór gehören dabei zu jenen Orten, mit denen bis heute viele Menschen nicht den Mord an 1,6 Millionen überwiegend polnischen Juden verbinden.

Zwischen November 1941 und Juli 1942 wurden die drei Vernichtungslager durch die Deutschen errichtet. Im Gegensatz zu Auschwitz-Birkenau oder Majdanek sahen die drei – wegen ihrer Lage am Fluss Bug auch „Buglager“ genannten – Vernichtungslager die sofortige Ermordung aller ankommenden Juden vor.

Im Rahmen der so genannten „Aktion Reinhardt“, die die Ermordung aller im „Generalgouvernement“, dem heutigen Ostpolen, lebenden Juden bedeutete, wurden täglich tausende in Eisenbahnwaggons Deportierte in den Gaskammern durch Motorenabgase umgebracht. Nur einige der Ankommenden wurden nach einer Selektion einem der Arbeitskommandos der Lager zugeteilt. Es gab so nur wenige Überlebende, die überhaupt Zeugnis über die Ereignisse dort ablegen konnten.

Einer der Überlebenden aus Sobibór ist der damals 16 Jahre alte Thomas „Toivi“ Blatt gewesen, der im April 1943 nach Sobibór verschleppt wurde und dort seine ganze Familie verlor. Er gehört zu den Überlebenden des erfolgreichen Aufstands der dortigen Gefangenen vom Oktober 1943, der maßgeblich zum Ende des Vernichtungslagers beitrug.

Thomas T. Blatt wird morgen Abend seine Erinnerungen an Sobibór und den Aufstand im Rahmen einer Lesung aus seinem im vorigen Jahr erschienenen Buch „Sobibór – der vergessene Aufstand“ im Buchladen im Schanzenviertel vorstellen. 320 Jüdinnen und Juden gelang durch den Aufstand die Flucht aus Sobibór, etwa die Hälfte konnte sich vor den verfolgenden SS-Einheiten retten. 53 ehemalige Gefangene überlebten schließlich den Krieg.

Thomas T. Blatt hat sich der schmerzlichen Erinnerungsarbeit ausgesetzt, von der er selbst schreibt: „Zeuge von Völkermord zu sein, ist extrem schwer zu bewältigen; drüber zu schreiben, zerstört die Seele“, sagt er.

Er hat damit nach 60 Jahren einen wichtigen Beitrag gegen das fortschreitende Vergessen geleistet. Denn im Fall des Vernichtungslagers von Sobibór ist dieses Vergessen scheinbar übermächtig: Selbst in der historischen Erforschung der Shoah wird der Aufstand vom Oktober 1943 nahezu vollständig ausgeblendet. Raul Hilberg widmet ihm beispielsweise in seinem grundlegenden Forschungswerk „Die Vernichtung der europäischen Juden“ lediglich einige wenige Zeilen, andernorts sucht man vergeblich nach Hinweisen auf diese Ereignisse. Thomas T. Blatt korrigiert mit seinem Buch zudem eine noch immer vorherrschende Forschungs- und Erinnerungsperspektive, die das europäische Judentum hauptsächlich als Opfer der deutschen Vernichtungspolitik wahrnimmt, den damals ebenfalls vorhandenen jüdischen Widerstand dagegen regelmäßig ausblendet. Andreas Blechschmidt

Thomas T. Blatt: „Sobibór – Der vergessene Aufstand“. Münster 2003; 240. S., 18 Euro Lesung: morgen, 19.30 Uhr, Buchladen im Schanzenviertel, Schulterblatt 55