Sozial und demokratisch

In der Vahr diskutierte Hans Koschnick über die Zukunft des Sozialstaates – und die Zuhörer waren sich einig: Eigentum verpflichtet und „alles auf dem Rücken der Rentner.“

Bremen taz ■ Als ein älterer Mann aufsteht und gegen die Gewerkschaften wettert, werden die anderen böse. „So ein Quatsch!“ und „jetzt wird‘s aber langsam lustig hier!“ schimpfen sie. 80 Menschen sitzen in dem kleinen Vortragsraum in der Vahr. Sie diskutieren mit Bremens ehemaligem Bürgermeister Hans Koschnick (SPD) über die Zukunft des Sozialstaates – oder über dessen Ende. Eingeladen zu Vortrag und Gespräch hat die Volkshochschule-Ost, gekommen sind nur ältere Menschen. Die Männer tragen Cordhosen und praktische Halbschuhe, die Frauen Strickpullover und Brillen. Koschnick nennt seine Zuhörer „Freunde“, sie sagen „Hans“. Es herrscht sozialdemokratische Eintracht, der Gewerkschaftskritiker steht auf verlorenem Posten.

„Ist unser Sozialstaat noch zu retten?“ ist die Frage des Abends – Antworten bleiben aus. In seinem Vortrag erzählt Koschnick von ganz früher, vom 19. Jahrhundert, als Sozialdemokraten noch vaterlandslose Gesellen waren und Arbeiter nicht mehr zu verlieren hatten als ihre Ketten. Erzählt die lange Geschichte von Sozialversicherung und Wohlfahrtsstaat. Und sagt, dass er den Sozialstaat nicht aufgeben, das Prinzip „jung hilft alt, stark hilft schwach“ nicht preisgeben möchte.

Die Konzerne führen nichts Gutes im Schilde und müssen mehr bezahlen, darin sind sich die Zuhörer einig. „Im Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet! Und es wäre schön, wenn unsere Herren Politiker sich daran mal erinnern würden“, ruft ein grauhaariger Herr voll Verve. „Genau!“ „Richtig!“ Und Hans Koschnick sagt, dass man das, was momentan passiert, ja nicht Reformen nennen könne – das seien ja nur Einschnitte. Zustimmung raunt durch die Reihen. „Und alles auf dem Rücken der Arbeiter und Rentner.“

Als dann alle schon aufbrechen wollen und ihre Stühle rücken, die Männer ihre Frauen zur Garderobe zitieren, um ihnen in die Mäntel zu helfen, fragt ein Zuhörer noch: „Aber was ist die Alternative zur momentanen Politik?“ Und der alte Mann auf der Bühne murmelt: „Man muss neue Wege gehen.“

Dorothea Siegle