Geplante Handicaps

Gegen die Gedankenlosigkeit der Architekten: TU gründet Kompetenzzentrum für barrierefreies Planen und Bauen

Schwierig wird es immer, wenn keiner sich Gedanken macht. Ein Tagesausflug von Rostock nach Berlin mit Kinobesuch kann so sehr kompliziert werden – zumindest für jemanden, der im Rollstuhl sitzt und auf Rampen, Fahrstühle und hilfsbereite Menschen angewiesen ist.

Thomas Berger ist so jemand. Der Rostocker wollte mit körperlich und geistig Behinderten das 3D-Kino am Potsdamer Platz zu besuchen. Aber das lange geplante Vorhaben endete im Chaos: Mitarbeiter der Bahn setzten die Gruppe in den falschen Zug, so dass die schließlich die U- statt der S-Bahn zum Potsdamer Platz nehmen musste. „Und da haben die Planer des neuen Bahnhofs glatt die Fahrstühle vergessen“, erinnert sich Berger. „Also fuhren wir zurück zum Anhalter Bahnhof, um von dort zum Potsdamer Platz zu laufen.“

Der Rückweg gestaltete sich genauso schwierig: Das Schild mit Rollstuhl, Fahrstuhl und der S-Bahn hatten die Behinderten und ihre Betreuer zwar schnell gefunden. Aber: „Wir fuhren mit einem Fahrstuhl und verfolgten die S-Bahn-Schilder in einer Zwischenebene – bis zu einer Treppe in die Höhe.“ Ein unüberwindbares Hindernis. „Wir waren fassungslos.“

Verständlich, findet Christa Kliemke von der TU Berlin. Noch immer versperren Treppen, Stufen, Zäune in Städten behinderten und oft auch alten Menschen den Weg. Und das liegt nicht an unabänderlichen Gegebenheiten, sondern oft genug schlicht an der Gedankenlosigkeit der Planer. Abhilfe will Stadtplanerin Kliemke jetzt schaffen: Auf ihre Initiative hin hat die Uni ein Kompetenzzentrum „Barrierefreies Planen und Bauen“ ins Leben gerufen. Neben der TU beteiligen sich unter anderem der Berliner Behindertenverband „Für Selbstbestimmung und Würde“ und der Förderverein Zentren für technische Lebenshilfen. Kontakte mit Instituten in Potsdam, Cottbus und anderen Verbänden in Berlin sind schon geknüpft.

„Das Fachwissen soll zusammengeführt werden“, erklärt Kliemke. Bisher gab es in diesem Bereich keine zentrale Koordinationsstelle. „Jeder werkelte für sich.“ Schon die jungen Architekten, die sie an ihrem Institut ausbildet, brächten in die ersten eigenen Entwürfe so gut wie nie Ideen zur behindertengerechten Konstruktion ihrer Gebäude ein. Das sei typisch für das fehlende Bewusstsein gerade in Deutschland. Kliemke hofft, dass durch das konzertierte Wissensmanagement möglichst viele Bereiche in Verwaltung, Industrie und Politik auf die Problematik aufmerksam werden. „Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen mit einem Handicap am normalen Alltagsleben teilnehmen können.“ Noch wird das Kompetenzzentrum aus dem Haushalt des Instituts für Gesundheitswesen an der TU finanziert. Langfristig aber sei man auf Sponsoren angewiesen. Kann so ein Projekt denn das Bewusstsein in der Öffentlichkeit für die Problematik schärfen? „Ich hoffe es“, sagte Kliemke. Immerhin sei man für alle Interessierten offen. Gerade behinderte Menschen seien aufgefordert, ihre Erfahrungen mit einzubringen.

Die Reisegruppe um Thomas Berger hat ihren Zug zurück nach Rostock nach einer kleinen Odyssee mit dem Bus übrigens noch bekommen. Aber nur, weil die Bahn die Verspätung der Gruppe noch um fünf Minuten überbot. OLIVER HAVLAT