ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL
: Ohne Bettbezug nach Bolivien

Man muss sich nicht die Schuhe zubinden können, um ein guter Entwicklungshelfer zu sein

Neulich erfuhren meine Freundin und ich, dass unser alter Freund Ricardo nach Bolivien ausgewandert ist. Wir fragten beide sofort das Gleiche: Hat er wohl Bettzeug mitgenommen?

Viele junge Leute im halbintellektuellen Engagiertenmilieu zieht es einmal im Leben in die Dritte Welt – oft in Projekte, Kommunen und Ähnliches. Früher fragte ich mich immer, wie Menschen wie ich, deren praktische Fähigkeiten und handwerkliche Erfahrung nicht über das Schnüren der eigenen Schuhe hinausgehen, den Guatemalteken oder Indonesiern von Nutzen sein sollen. Bis mir ein Bekannter, der aus Sri Lanka stammt, erklärte: „Europäer sind eigentlich immer nützlich. Denn sie kommen pünktlich zur Arbeit und nerven die anderen, dies auch zu tun.“ Seitdem mache ich mir keine Sorgen mehr, wenn ich Mitarbeiter des Goethe-Instituts kennen lerne, die in „der Deutschen Woche Südafrikas“ Beethoven und Brahms in die Townships tragen wollen oder im Auftrag des Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit Seminare über Gender Mainstreaming im nigerianischen Mittelstand geben.

Bei Ricardo liegt der Fall anders. Der junge Mann aus Madrid wanderte nach Deutschland ein. Genauer: nach Leipzig, um dort eine Doktorarbeit über die deutsche Wiedervereinigung zu schreiben. Ganz genau: In die Wohnung meiner Freundin, wo damals ein Zimmer leer stand.

Es stand wirklich leer: ohne Möbel. Das schien Ricardo zu überfordern. Wir besorgten ihm schließlich Paletten aus dem Supermarkt und ermunterten ihn, sich eine gebrauchte Matratze und frisches Bettzeug zu besorgen. Als alles fertig war, merkten wir: Er hatte zwar eine Bettdecke und ein Kopfkissen gekauft, aber keine Bezüge. „Oh, ich dachte, deutsches Bettzeug ist so“, sagte er erstaunt. Nun ist es nicht so, dass in Spanien Bettdecke und Bezug miteinander vernäht sind. Ricardo hatte noch nie ein Bett bezogen. In Madrid lebte er mit zwei Schwestern, einer Mutter, einer Tante und einer Großmutter zusammen. Erst jetzt fiel mir auf, dass er ständig an seinen Schnürsenkeln nestelte.

Mit Ricardo ist dann alles wunderbar geworden: Er hat sich mit meiner Freundin gut arrangiert. Sie hat den Kohleofen in seinem Zimmer in Gang gehalten, er hat dafür abgespült. (Als er zum ersten Mal mit Madrid telefonierte, fragte er, ob man dort auch ein grünes Mittel ins heiße Wasser gibt). Nach zwei Jahren war zwar die Doktorarbeit nicht fertig, aber Ricardo ein echter Deutschlandexperte, der für ostdeutsche Literatur und westdeutschen Fußball schwärmte und nicht aufhörte zu staunen, wie fremd sich die beiden Deutschlands geblieben sind. Als wir ihn schließlich zum Bahnhof brachten, trug er sehr schicke, schnürsenkellose Turnschuhe.

In Madrid, zwei Jahre später, holte er uns in teuren Lederschuhen vom Flughafen ab. Seine Familie, bei der er wieder wohnte, hatte ihm einen Job bei Alpha y Omega besorgt. Das ist die kirchenpolitische Beilage der rechtskatholischen Tageszeitung ABC. Hier trägt der Chef auch in der Redaktion Priesterornat.

Wegen seines konservativen Arbeitgebers und seiner konservativen Familie hatte Ricardo große Probleme mit seiner neuen, süßen Freundin. Deren Familie zählte sich zum „roten Spanien“, das seit dem Bürgerkrieg dem konservativen, „schwarzen Spanien“ erstaunlich fremd geblieben ist. Anders als Ost und West fand Ricardo Rot und Schwarz gar nicht interessant, sondern nervtötend. Er war unglücklich in Madrid.

Wie er nach Bolivien gelangte? Und was er dort jetzt tut? Ich weiß es nicht. „Er hat gekündigt und ist gemeinsam mit seiner Freundin dorthin“, sagte mir die Sekretärin von Alpha y Omega am Telefon, als ich anrief, um jemanden für ein Wochenende in Madrid unterzubringen: „Er tut dort irgendetwas Gutes für die armen Leute.“ Davon bin ich überzeugt. Ich kann mir Ricardo sehr gut in Sandalen vorstellen. Ob sie in Bolivien Bettbezüge verwenden? Oder ob man in Ricardos Projekt vielleicht nur Hängematten hat? Hoffentlich findet er rasch jemanden, der ihm zeigt, wie man darin schläft, ohne herauszufallen.

Hilfe für gute Spanier? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried über CHARTS