Raul rettet das Imperium

Beim Spiel der Krisenclubs Real Madrid und AS Rom erleben die Spanier so etwas wie eine Wiederauferstehung. Beim 4:2-Sieg überzeugt vor allem der zuletzt viel gescholtene Kapitän

AUS MADRID RALF ITZEL

Der Retter kam um fünf vor zwölf. Im übertragenen und im wörtlichen Sinne. 23.55 Uhr war es, als Raul als Letzter die Kabine verließ. Viele Stimmensammler von Presse, Funk und Fernsehen hatten noch gewartet, doch der Kapitän Real Madrids hielt beim Gang vorbei an der Schlange von Kameras, Mikrofonen und Kugelschreibern nur ein einziges Mal an, um mitzuteilen, dass sein persönlicher Erfolg unwichtig sei im Vergleich zu dem der Mannschaft. Was man eben so sagt in solchen Momenten.

Um fünf vor zwölf im übertragenen Sinne. 0:2 stand es im Spiel gegen den AS Rom nach 21 Minuten, und wäre eine erneute Niederlage Wirklichkeit geworden, das Imperium Real Madrid hätte in seinen Grundfesten gewackelt. Doch dann erschien Raul. Seit Monaten war er seiner Form hinterhergelaufen. Plötzlich erwachte der weiße Riese aus der Depression – aufgerüttelt von Raul, der den Anschlusstreffer markierte, dann den Elfmeter rausholte, den Figo verwandelte, und schließlich noch das Führungstor erzielte. Roberto Carlos setzte mit seinem Sonntagsschuss zum 4:2 das Sahnehäubchen obendrauf. Die Anhänger versöhnten sich dank des Kapitäns mit der Mannschaft – nach allerlei Turbulenzen, die Real genauso gebeutelt hatten wie den AS Rom. Die beiden hätten sich gut und gerne auch im Rahmen einer Selbsthilfegruppe krisengeschüttelter Hauptstadtklubs treffen können. Seit dem Weggang passender Trainer (del Bosque bei Real, Capello bei den Römern) ging es bergab. Frühere Helden des Rasens (Camacho/Rudi Völler) versuchten sich zuletzt als Nachfolger, um nach wenigen Wochen hinzuschmeißen. Beide Teams waren mit einem 0:3 in Europas erste Liga gestartet: Real ließ sich in Leverkusen versohlen, die Roma verlor am grünen Tisch, nachdem beim Heimspiel gegen Kiew ein Münzwerfer den Schiedsrichter ausgeknockt hatte. Im Estadio Bernabeu trafen also Not und Elend aufeinander, und heraus kam: ein wunderbarer Fußballabend, was die Fans des AS Rom sicher anders sehen werden. Nur in der ersten halben Stunde vermochten die Römer die Hintermannschaft Reals mit chirurgischer Präzision aufzuschlitzen und ging dank de Rossi und Cassano in Führung ging. Dann verfiel sie in die italienische Unart, sich bei Vorsprung am eigenen Strafraum zu verschanzen. Ideal für Madrid: Denn die Madrilenen mögen für die hinteren sechzig Meter der Spielfläche keinen Plan haben, für die vorderen vierzig besitzen sie Talent im Überfluss. Als Schiedsrichter Iwanow ihnen auch noch gütig einen Elfmeter zuerkannte, war kein Halten mehr. Während der AS Rom nun weiter seine Wunden lecken muss, hofft Real Madrid, nicht nur ein Spiel umgedreht zu haben, sondern die gesamte Situation. Neutrainer Mariano Garcia Remon sprach vom „idealen Drehbuch“. Die Berühmtheiten Beckham, Ronaldo und Co. leben unter ihm bequemer. So durften sie die Nacht vor dem Spiel im eigenen Bett verbringen. Schon macht das Wort von der „Delbosquisierung“ die Runde, denn auch Vicente del Bosque, der letzte erfolgreiche Coach, hatte den Stars Leine gelassen. Sollte sich die Mannschaft nach dem Kulturschock mit Camacho auf die weiche Art auf Kurs bringen lassen, stünde sie zwar endgültig im Verdacht, statt einer Gruppe junger Sportler ein Ungeheuer zu sein, das jeden Dompteur verschlingt, der seine Aufgabe nicht darin sieht, ihm Zuckerl zu geben. Doch solange Zuckerl zurückkommen, wird das keinen stören.