Polizei trifft nur links unten

Ihre neue Dienstwaffe schießt ungenau, behaupten Polizisten in Baden-Württemberg. Die Kugeln schlügen oft „links tief“ ein. Innenminister Schäuble (CDU) lässt das Problem untersuchen. Ein Waffenexperte rät, im Zweifelsfall lieber nicht zu schießen

aus Stuttgart RÜDIGER BÄSSLER

Als in der Waffenschmiede Heckler & Koch in Oberndorf der erste Hinweis einging, reagierte man gelassen. Die neue Dienstpistole sei ungenau, klagten Bereitschaftspolizisten. Die Trefferbilder ergäben, dass die Kugeln auf der Schießscheibe häufig „links tief“ vom Ziel entfernt einschlügen. Aber das konnte nach Auffassung des Herstellers gar nicht sein. Die Waffe war schließlich umfangreich geprüft worden.

315 Beamte hatten sie schon erprobt, bevor das Land Baden-Württemberg 25.000 Stück der neuen Polizeipistole P 2000 V 5 kaufte. Auch das staatliche Beschussamt Ulm gab sein OK.

Doch dann mehrten sich die Beschwerden. Beamte aus verschiedenen Dienststellen, die mit der Waffe am Schießstand hantiert haben, bestätigten die abweichenden Trefferbilder.

Das Stuttgarter Innenministerium beraumte daraufhin einen neuerlichen Test unter Beteiligung von Experten – darunter Polizisten – an. „Das hat aber kein eindeutiges Bild ergeben“, erklärte die Sprecherin von Innenminister Thomas Schäuble (CDU). Diese Woche nun soll ein Gutachten des Fraunhofer-Instituts Klärung bringen. „Das muss schnell gehen, und das wird auch schnell gehen“, so Schäubles Sprecherin.

Heckler & Koch glaubt nicht an einen technischen Mangel. „In Einzelfällen kann es erforderlich werden, dass Dienstwaffen auf den Schützen individuell eingestellt werden müssen“, heißt es in einer Pressemitteilung der Firma. „Die in diesem Zusammenhang notwendige Visierverstellung ist mit geringstem Aufwand möglich.“ Der Polizist gilt als wahrscheinlichster Störfaktor beim Zielschießen. Die Heckler-&-Koch-Pressesprecherin sagt dazu: „Es sind nun einmal immer menschliche Augen im Spiel.“

Doch solange die Ursache für die Fehlschüsse ungeklärt sei, werde die P 2000 nicht für den Einsatz auf der Straße zugelassen, sagt das Ministerium.

Der Chefredakteur des Waffenmagazins Visier, David Schiller, der mit der P 2000 schon geschossen hat, glaubt zu wissen, was bei den Untersuchungen herauskommt. „Es gibt keine technische Erklärung“, behauptet er. Vielmehr zeige sich an den Kugelabweichungen die Schwierigkeit, die viele Beamte mit dem Abzugsystem der P 2000 hätten. Während man bei der bisherigen Pistole, der Walther P 5, noch den Hahn vor dem ersten Schuss vorspannen muss, kann man mit der P 2000 sofort losfeuern. „Jetzt haben Sie einen viel längeren Abzugsweg, dabei müssen Sie ein Gewicht von rund 3 Kilogramm überwinden.“ Diese Umstellung sei gravierend, ohne Übung käme es fast unweigerlich zu Streuschüssen.

Aber selbst wenn die Kugeln auf eine Distanz von rund 20 Metern einige Zentimeter fehlgingen, spiele das im Polizeialltag keine Rolle, glaubt der Waffenexperte. Erfahrungen zeigten, dass die Dienstwaffe in der Regel erst gezogen werde, wenn eine Bedrohung „auf 3 bis 5 Meter“ herangekommen sei. „Dann peitscht Ihnen so viel Adrenalin durch die Knochen, dass sowieso nicht mehr vernünftig gezielt wird.“ Polizeibeamte müsse deshalb viel stärker beigebracht bekommen, „nicht zu schießen“ beziehungsweise „eine Waffendrohung richtig durchzuführen“.

Dem Innenministerium sind auch wenige Zentimeter Abweichung zu viel. Es wird nicht mehr ausgeschlossen, dass alle 25.000 Pistolen noch einmal überprüft werden müssen. Wer die Kosten einer solchen Rückrufaktion zu tragen hätte, darauf mag derzeit niemand näher eingehen. Im Ministerium wird das gute Verhältnis zu Heckler & Koch beschworen. Und die Oberndorfer haben schriftlich bekundet, „jede Unterstützung“ zu gewähren.