Ready to be verschlungen

Schauend plus assoziierend die Texte sich selbst schreiben lassen: Farhad Showghi und sein neues Buch „Ende des Stadtplans“

von CARSTEN KLOOK

Blocksatz-Texte zwischen Lyrik und Prosaminiatur. Kleine, meist quadratische Häppchen mit großer literarischer Wirkung, ready to be verschlungen: Nach dem Gewinn des 3sat-Preises beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb im Sommer dieses Jahres hat der in Hamburg als Psychiater tätige Farhad Showghi nun sein zweites Buch veröffentlicht, Ende des Stadtplans.

„Kaum einen Bus setzt die Straße ein, die jetzt selbst ein Gepäcknetz hat. Vielleicht bestehen die Hecken aus Geschwindigkeit und haben das Erlebnis, sich eine Stelle zu suchen, schon durchgemacht. Rutscht eine davon, macht sie als stummer Fahrgast dicht. Wachsen will, wo sie noch nie gewesen ist“ („Wo schaute ich hin“ 1). „Das Buch ist sehr viel genauer als der Text ‚Die große Entfernung‘, den ich in Klagenfurt gelesen habe“, sagt Showghi, „und sehr viel dichter. Ich habe fünf Jahre an diesem Buch gearbeitet.“ Man merkt das, obwohl es ein schmaler Band mit gerade 93 Seiten geworden ist.

Showghi, geboren 1961 in Prag, lebte vom zweiten bis zum fünften Lebensjahr in Deutschland, danach in Teheran. Mit 17 kehrte er nach Deutschland zurück, studierte in Erlangen Medizin und wohnt seit 1989 in Hamburg. Das Leben zwischen den Sprachen und – wie gerne angenommen wird – Kulturen spiegelt sich auch in den Oszillationen seiner Dichtung wider. Für seinen Lyrik-Debütband Die Walnußmaske durch die ich mich träumend aß, veröffentlicht 1998, erhielt Showghi den Irmgard-Heilmann-Preis. 2002 erschienen seine Übersetzungen von Ahmad Schamlus Gedichten aus dem Persischen: Blaues Lied.

Showghis Texten abzulesen ist der staunende Blick und die fast kindliche Freude, mit dem die Wahrnehmung Sprache sucht. Das wirkt wie ein Umklappen der Scharniere mit denen Erwartungshalt(er)ungen an die Sprache umgelenkt werden in eine erlösende Unvorhergesehenheit. Das, was herausfällt, lässt eine Ahnung aufsteigen von der Intensität, die einmal war, im ersten Blick, im ersten Fühlen. Eine utopische Rückkehr zum unbelasteten Denken kindlicher Zweckfreiheit.

Einige Zeit lebte Showghi im Hamburger Stadtteil Hamm, dessen Atmosphäre sich auch in seinen Texten niederschlägt. Reduziert auf den Blick aus dem Zimmerfenster – da ist der Kastanienbaum, die Balkone und der Hinterhof – spielen diese Favoriten die Hauptrollen in einem Inferno des Stillstands. Im Kontrast dazu gibt es einen Raum, hinter dem Hauptbahnhof gelegen, mit lauten Eisenbahn- und Straßengeräuschen: Showghi pendelt auch hier, setzt die Pole in Spannung. Die Texte sind lyrische Prosatexte, aber nicht eigentlich Prosaminiaturen. „Ich fühlte mich eingeengt durch die zuvor selbst geschaffene, reduzierte knappe Form und wollte zurück in die Welt“, sagt Showghi, der sich dagegen abgrenzt, dass seine Texte in die Nähe des Surrealismus gerückt werden.

Ein zentrales Wort, um das ein weiterer Zyklus kreist, ist die „Seekrankenkasse“. Woher rührt deren Faszination? „Die Seekrankenkasse ist mir auf einem Patienten-Krankenblatt begegnet. Das Wort sprang mich an und ließ mich nicht mehr los. Ich hatte das Gefühl, dass dieses Wort sehr viel an Sprache generiert in mir. Es geht darum, es in Raum und Sprache zu übersetzen, es immer weiter zu übersetzen“, sagt Showghi. „Das Wort ‚See‘ besitzt Weite, ‚Kasse‘ Statik. Und durch das Wort ‚Kranken‘ erhalten die beiden Worte eine dynamische Verbindung, sodass das ganze Wort selbst schon fast ein Gedicht ist. Es hat eine starke Öffnungsbewegung. Und ausgehend von einem Wort schreibe ich die Texte. Schauend plus assoziierend lasse ich sie sich selbst schreiben, wobei es immer eine exakte Stelle gibt – in der Landschaft oder im Gedanken –, wo das Wort zu sich selbst zurückfinden kann, jenseits von Bedeutungen und seiner bestimmten Aufgabe.“

Farhad Showghi, Ende des Stadtplans. Urs Engeler Editor, Basel 2003, 94 S., 17 Euro