Das Drama überwinden

Die Kritik am Wahrheitsanspruch des Dokumentarischen stilistisch überkompensiert: Angela Melitopoulos‘ „Passing Drama“ in der Reihe „Abenteuer Essayfilm“

Der Titel von Angela Melitopoulos‘ Film ist mehrdeutig. Passing Drama (1999) bezieht sich auf die nordgriechische Stadt mit dem seltsamen Namen Drama, eine der Stationen des Flucht- und Leidenswegs der griechischen Familie der Regisseurin. 1923 war diese aus Kleinasien vertrieben worden, fand in Drama keine neue Heimat, denn eines Tages rückten Bulgaren ein und vertrieben die Familie erneut. „Passing Drama“: „Durch Drama kommen“, aber auch: „Das Drama des Immer-weiter-ziehen-müssens“.

Der Titel hat noch eine weitere, programmatische Bedeutung: „Das Drama überwinden“. Passing Drama ist ein experimenteller Dokumentarfilm, der sich dramatisch-narrativen Erzählmustern verweigert, wie sie auch das nicht-fiktionale Kino prägen. Melitopoulos hat ihr Material exzessiv verfremdet. Zeitzeugenaussagen, Landschaftsansichten, Archivbilder werden zu abstrakten Mustern zerlegt, zerbersten zu Pixelhaufen. Zwei Leitmotive bilden sich heraus: rasendes graues Asphaltflimmern als Metapher zielloser Flucht. Und der Webstuhl als Metapher der erinnerten Geschichte, eines vielstimmig verwobenen Textes. Melitopoulos versucht, die Ortlosigkeit der Flucht emotional abzubilden und zugleich darauf zu reflektieren, wie man solche Erfahrung filmisch überhaupt abbilden kann, zumal als Nachfahrin.

Der Versuch schlägt fehl. Die Regisseurin stülpt ihrem Gegenstand die mutmaßliche eigene Ortlosigkeit über, ohne sich – etwa in einem Kommentar – dazu zu bekennen. Die Methode entlarvt sich am schärfsten dann, wenn Melitopoulos mitten in den Aussagen ihrer Gesprächspartner das Bild einfriert oder die Gesichter zu Farbflächen verschwimmen lässt. Warum nimmt sie ihnen die Stimme? Warum unterdrückt sie mit plumpen Effektorgien, was nach Information oder Argument aussehen könnte? Weil sie die theoretische Kritik an der Wahrhaftigkeit des Dokumentar-Genres stilistisch überkompensiert.

Erst im letzten Drittel findet Passing Drama Ruhe. Melitopoulos filmt ihren Vater beim Besuch eines österreichischen Zwangsarbeitslagers, wo er gelitten hat und jetzt behinderte Kinder wohnen. Eindringliche Bilder; ihre dokumentarische Kraft widerlegt den eigentlichen Ansatz von Passing Drama endgültig. Die Diskussion mit der anwesenden Regisseurin verspricht spannend zu werden.

JAKOB HESLER

mit Vorfilm (Karen Michelsen-Castanyón, Umarmung) und Einführung: heute, 19 Uhr, Metropolis