Das billige Original

Früher entwarfen Designer aus Paris schicke und teure Mode, die dann von Billiglabels kopiert wurde – das gab Ärger. Heute entwirft Karl Lagerfeld für den Billiganbieter H & M – und fühlt sich geehrt

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Die Mode ist ein komplexes System. Durchwoben von kulturellen und ökonomischen Klassenschranken. Bestickt mit einer warenförmigen Schizophrenie, die einerseits immer wieder den guten, ja gar den wahren Stil postuliert. Und sich andererseits mit Tempel stürmender Geschichtsvergessenheit durch die Epochen sampelt. Was kümmert mich mein Schulterpolster von gestern.

Eine gelungene Strategie gegen die Komplexität der Mode ist seit Jahren die schwedische Modekette Hennes & Mauritz, das Ikea der Anziehsachen. In den weltweit 1.000 H & M-Filialen ist der heiße Scheiß immer noch lauwarm und trotz des generellen Durcheinanders in den Läden übersichtlich geordnet. In diesem Herbst ist der heiße Scheiß sogar noch ein paar Grad wärmer. Schuld daran, so die Legende, war ein 49 Euro teurer Anzug, den H & M-Marketingdirektor Jorgen Anderson nach Paris zu Karl Lagerfeld geschickt habe. Vergangene Woche nun wurde die Kollektion „Karl Lagerfeld für H & M“ im Centre Pompidou vorgestellt. Im November wird sie auch in den deutschen H & M-Filialen hängen. Knapp 15 Euro kostet dann ein T-Shirt mit dem stilisierten Konterfei des Modemachers. 150 Euro ein schwarzer, zweireihiger Wollmantel. Gefertigt nicht in den Pariser Ateliers, sondern irgendwo in der globalisierten Weltwirtschaft. Aber das ist bei Chanel, Lagerfelds eigentlichem Arbeitgeber, längst auch nicht anders.

Was hingegen anders ist, sind die Preise. Und mit denen will Karl Lagerfeld, der Schalk mit dem Pferdeschwanz im Nacken, wohl vor allem die eigene Kaste kitzeln. Während die Konkurrenz aus Paris, London oder Mailand Modeketten schon mal mit Plagiatsklagen überhäuft, fühlte sich Lagerfeld schlicht geehrt, als sein ausgefranstes Chanel-Tweedjackett ganz ähnlich auch in den Schaufenstern von H & M oder Zara hing. Er wolle ohnehin nur, so hat es der alte Mann in der Mädchenjeans einmal ausgerechnet Johannes B. Kerner erzählt, „dass die Menschen ein bisschen schöner aussehen“.

Dafür, dass „Karl Lagerfeld für H & M“ nicht zum Angriff auf die Haute Couture als solche taugt, hat das komplexe System Mode übrigens bereits gesorgt: Denn je erfolgreicher die Kollektion wird, umso deutlicher sie sich in die Stilkurzgeschichte eines Winter einbrennt – umso mehr wird sie eben auch zum Mainstream, zur Autobahn weit weg von der Strandpromenade Haute Couture. Vom Problem der „Veralltäglichung des Charismas“ hat Max Weber einmal gesprochen. Die Mode hat daraus ihr Leitmotiv geboren, eine fortwährende Fluchtbewegung.