Vom Klassenzimmer zur Lernlandschaft

Baut mit dem Konjunkturprogramm die Schulen um, fordern Experten. Doch das verbietet das Grundgesetz

MÜNSTER taz ■ Der Lüdinghausener Bürgermeister ist konsterniert. „Was da abläuft, ist katastrophal“, sagt Rochard Borgmann. Der Chef der Kommune im Münsterland meint die absurde Tatsache, dass der Bund mit einem Konjunkturprogramm 8,5 Milliarden Euro in die Sanierung von Schulen investieren wollte – und nun bemerkt: Es geht gar nicht, die Verfassung verbietet es. „Für den Ausbau der Ganztagsgebäude besitzt der Bund laut Grundgesetzartikel 104b gar keine Zuständigkeit“, ergänzt Markus Lehrer, Sprecher des nordrhein-westfälischen Städte- und Gemeindebundes.

Wollten sich die Kommunen verfassungskonform verhalten, dürften sie die 8,5 Milliarden nur für energetische Sanierung ausgeben. Das haben Schulleiter, Architekten und Pädagogen in Münster jetzt scharf kritisiert.

„Die überfälligen Sanierungen von Schulen müssen mit der notwendigen baulichen und pädagogischen Erneuerung verbunden werden“, steht in der „Münsteraner Erklärung“, die sie am Sonntag verabschiedeten. Über 400 Schulerneuerer hatten sich in Münster getroffen, um über die Veränderung von Schulen zu Lernlandschaften zu sprechen. Veranstalter des Kongresses war das Hamburger Archiv der Zukunft. Der Konvent forderte den Bund auf, die Verfassung schnell zu ändern. „Wir brauchen Schulen als einladende Orte, als Raum zur Entdeckung und Erprobung der Potenziale von Kindern“, heißt es in der Erklärung.

In Münster waren viele Vertreter von Schulen, die vor Umbauten stehen. „Wir brauchen unbedingt Architekten und Vorstellungen, wie wir unsere Schule für den Ganztag fit machen können“, sagte etwa Beate Altmann, Rektorin von der Volksschule in der Stadtmitte Neu-Ulm.

In Bayern wurde, nachdem das Bundesland lange dagegen war, ein Modellprogramm für gebundene, also verpflichtende Ganztagsgrundschulen verabschiedet. Allerdings gibt es kein Geld aus dem alten Ganztagsprogramm des Bundes mehr – neue Mittel aus der Konjunkturspritze dürfen die 40 Schulen aber nicht verwenden. Die große Koalition in Berlin arbeitet nun daran, die Verfassung bis Mitte des Jahres zu verändern. Der Kongress fand in der Wartburggrundschule in Münster statt, die auch wegen ihrer Architektur den „Deutschen Schulpreis 2008“ gewonnen hat. Die Schule besteht aus vier Bildungshäusern, die um ein Forum für das Schulparlament, die Schulbibliothek und die Turnhalle angeordnet sind. Die Lernräume haben wenig mit normalen Klassenzimmern zu tun: Sie sind nicht rechteckig, sie haben ein Waschbecken und bieten den Schülern Lernnischen.

Die Struktur der Münsteraner Schule scheint so etwas wie das europäische „Grundprinzip moderner Schule“ zu sein. So nannte es der Schulentwickler Rainer von Groote aus Schweden. Die Idee dieser Schulen ist, dass es einen zentralen Raum gibt „und darum herum kleine Räume für Gruppen, die sich in Zusammensetzung und Größe ändern können. Solche Gruppenräume werden in individuellen Lernprozessen mehr und mehr gebraucht“, sagt Groote, der Schulen entwickelt – und dabei Organisation, Pädagogik und Architektur in Einklang zu bringen versucht.

Das Klassenzimmer werde nicht verschwinden, sagte die Mitorganisatorin des Kongresses, Ulrike Kegler von der Montessorischule Potsdam. „Aber sie werden zunehmend ergänzt durch Lernbüros, Ateliers, Werkstätten und Ruhezonen. Für die Einrichtung dieser Lernräume muss das Konjunkturprogramm genutzt werden können.“

CHRISTIAN FÜLLER