Die Bachmann lacht

Das Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Oldenburg zeigt eine Retrospektive des fotografischen Werks von Stefan Moses

Willy Brandt macht Wahlkampf. In Schleswig-Holstein. Sein offener Mercedes fährt an einer Kuhweide vorbei. Der Kandidat erhebt sich, staatsmännisch winkend. Denn immerhin gucken sie – die Rinder. Und hinter den Rindern, da ist das Kameraauge von Stefan Moses platziert, dem großen Chronisten der Deutschen. Das Oldenburger Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte zeigt jetzt eine Retrospektive seines Werkes.

Die Ausstellung ist ein Dokument des Wandels. Da sind die Reportagebilder, gefundene Momente, die den späteren stern-Fotografen bekannt machten.

Budapest während des Aufstandes 1956: In einem schäbigen Raum sind Leichen achtlos in billige Särge abgelegt. Dahinter steht, an die Wand gelehnt, ein martialisches Denkmal zweier muskelbepackter Ringer. Bilder, die das Leben schreibt.

Auch die Reiseaufnahmen aus Israel zeigen nie die offizielle Seite der Gewalt, sondern ihr Alltagsgesicht. Ein Junge trägt zwei Brotlaibe. Sie sind so lang wie seine Beinchen. Die Augen des Kindes offenbaren alle Verzweiflung über die alltägliche Bedrohung. Die Brote dieses Lebens sind viel zu schwer.

Doch solche Bilder wurden zunehmend als altmodisch empfunden. Waren die elektronischen Medien doch immer schon schneller, machen schön viel Krach und werden zunehmend bunter. Das Flüchtige in Stefan Moses’ Bildern verlor seinen Marktwert. Aber der Fotograf blieb dran – arbeitete an Sequenzen.

Moses, heute Dozent an er Bayrischen Akademie der Schönen Künste, entschleunigt die Bewegung. Der Raum zwischen den Einzelaufnahmen wird so zur Erzählung, die der Betrachter zu vervollständigen hat. Da sitzt etwa Ingeborg Bachmann im adretten Kleid auf einem Stuhl, Beine schön zusammen, Knie an die Armlehnen gepresst. Ganz die ernsthafte Dichterin. Aber ihre Finger sprechen, bewegen sich von Bild zu Bild aufeinander zu, voneinander weg – und dann hält die Hand den lachenden Mund. Ingeborg Bachmann und Lachen! Eine große Geschichte.

Stefan Moses ist ein Magier, der mit Charme und Schüchternheit die Menschen vergessen lässt, dass sie Objekt der Kamera sind. Und so macht er sie zu Subjekten, kitzelt das Wesentliche der Person hervor. Moses mag Katzen, und deren sprichwörtliche Eigenwilligkeit hat ihn den Umgang mit diesem störrischen Etwas gelehrt, das er einfangen will: das Wesen.

So gelingen ihm die Sittengemälde deutscher Befindlichkeit der 60er Jahre, als Kultur und Politik im Aufbruch waren. Dichterinnen, Denker und Lenker finden sich auf Partys und Premierenfeiern zusammen. Daneben: Bilder von Nackthappenings, opulente Pressebälle unter kristallenen Lüstern – aufbrechende, pulsierende Gleichzeitigkeit, eine wilde Republik. Das sind aufregende Dokumente, die gerade in diesem Nebeneinander verdeutlichen, was alles hätte erblühen können in dieser Zeit.

Zu diesen konzeptionellen Serien über die Deutschen gehören „Die großen Alten“, die im Dachgeschoss des Oldenburger Schlosses ausgestellt werden. Zu erleben gibt es ein Wiedersehen mit Willy Brandt, der wie ein Faun mit Blättern spielt. Rendezvous im Wald mit Ilse Eichinger, versteckt neben einer Eiche. Meret Oppenheim entwächst einem Baumstumpf. Beeindruckende Persönlichkeiten, wie die Bäume an Jahresringen reich.

In dem Zyklus „Abschied und Anfang – Ostdeutsche Porträts“ lässt Stefan Moses von 1989 bis 1991 die Helden des Arbeiter- und Bauernstaates noch einmal auftreten – im Auftrag des Deutschen Historischen Museums Berlin. Ein weißes Tuch ist Bühne, Hintergrund und Requisit. Moses hatte bei der DEFA Szenenfotografie gelernt. Eine seiner Stars: die Köchin aus Cottbus, kurze Netzstrümpfe, den Schuh kokett auf einer Gemüsekiste gestellt, der Kittel im Schritt leicht geöffnet, Schüsseln mit Gemüse in die Hüften gestemmt, herausfordernder Blick. Weitere Stars: die Familie in Badebekleidung, Kinder mit Federball, Papa mit Bauch und der Hand an Mamas Hüften. Die „Facharbeiter Tierproduktion“ – sprich: Landwirte – sind mit Ferkeln im Arm zu sehen und bekringeln sich vor Lachen. Bestechende Menschlichkeit.

Die berührendsten Bilder aber gelingen Stefan Moses mit dem Fotobuch „Manuel“ aus dem Jahr 2000. Es sind Aufnahmen von seinem Sohn, der nackt mit der Katze spielt, lacht, ihr hinterherklettert, über die Leiter, auf das Dach. Ein freies Kinderleben – jenseits aller Inszenierungen. Marijke Gerwin

bis 8. Januar 2005, Di-Fr 9 bis 17 Uhr, Do 9 bis 20, Sa/So 9 bis 17