montags: forum! (4)
: Die Sicherung vor Armut ist keine Gnade des Staates

Montags streitet der Norden über die Sozialreform: Gruppen unterschiedlicher Couleur gehen gegen Hartz IV auf die Straße – heute voraussichtlich in Barnstorf, Bergen auf Rügen, Braunschweig, Bremen, Bremerhaven, Bremervörde, Celle, Delmenhorst, Emden, Flensburg, Göttingen, Goslar, Greifswald, Hamburg, Hannover, Heide, Itzehoe, Kiel, Lübeck, Oldenburg, Osnabrück, Parchim, Peine, Perleberg, Ribnitz-Damgarten, Rostock, Schwerin, Waren, Wedel, Wismar, Wittenberge, Wittstock, Wolfsburg Wernigerode und Wilhelmshaven. Aber eine Demo ist kein guter Platz fürs Argumentieren. In der taz-Nord Serie Montags: Forum! beziehen deshalb Experten und Engagierte Stellung zum Um- oder Abbruch des Sozialstaats

Hartz IV – dahinter steht eine Reform, die in sich so kompliziert ist wie die gesellschaftliche Wirklichkeit, auf die sie sich bezieht.

Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe hat bei vielen Menschen in unserem Land Zukunftsängste ausgelöst. Niemanden, der in der Politik für soziale Gerechtigkeit streitet, kann das kalt lassen.

Man fragt sich beklommen, ob ein politischer Weg richtig sein kann, der viele Menschen zum Demonstrieren auf die Straße treibt und noch viele mehr zum Demonstrieren in die Wahlenthaltung.

Doch der Umbau unserer sozialen Sicherungssysteme ist notwendig. Grüne Sozialpolitik sucht seit jeher den Ausgleich zwischen dem Prinzip der Eigenverantwortung, dem Anreiz für Eigeninitiative und der Absicherung von Lebensrisiken durch die Solidargemeinschaft.

Wir Grünen arbeiten für eine Gesellschaft, in der Menschen in einer Notsituation nicht auf sich alleine gestellt sind, aber wir wollen keinen Staat, in dem Menschen nur noch verwaltet werden und ihnen der Zugang zu einer eigenverantwortlichen Existenzsicherung verwehrt bleibt.

Vor dem Hintergrund von anhaltender Massenarbeitslosigkeit, einer veränderten Demographie und den verschärften Wettbewerbsbedingungen einer globalisierten Wirtschaft kann man die Notwendigkeit einer tief greifenden Reform nicht ernsthaft abstreiten. Von der Sinnhaftigkeit einer Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu überzeugen ist mein Anliegen. Sie ist nicht alternativlos, aber sie ist für uns Grüne die beste Alternative.

Die Schaffung neuer Arbeitsplätze und gleicher Zugangschancen zum ersten Arbeitsmarkt sind das Hauptziel von Hartz IV. Denn nur dann, wenn wir im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit endlich deutliche Erfolge erzielen, können wir den Sozialstaat in Deutschland auch für kommende Generationen sicher machen.

Die Grünen fordern schon lange eine Bürgergrundsicherung, um die demütigende Bewilligungspraxis der Sozialhilfe abzuschaffen und für Arbeitssuchende Leistungen in einer Hand zusammenzuführen.

Außerdem sollte jedem der Zugang zu den aktiven Instrumenten des Arbeitsmarktes ermöglicht werden. Die Reform trägt diesem Prinzip Rechnung, auch wenn wir uns mit vielen Forderungen, unter anderem nach einem Mindestlohn, nicht durchsetzen konnten.

Eine sachliche Debatte wird durch die Verlogenheit von CDU/CSU erschwert. Die Konservativen kochen ihr parteipolitisches Süppchen auf dem Rücken der Betroffenen, beteiligen sich an der Skandalisierung von Maßnahmen, die sie selbst ins Gesetzesblatt hineinverhandelt haben. Die Leistungen sollten nach den Vorstellungen der CDU um ein Drittel niedriger angesetzt und mit schärferen Sanktionen flankiert werden, die CDU wollte eine Unterhaltspflicht zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, die CDU wollte keine Beiträge zur Rentenversicherung und keine verbindliche Krankenversicherungsmitgliedschaft, und vor allem wollte sie einen flächendeckenden Niedriglohnsektor mit Lohndumping einrichten.

Wir Grünen wollen Arbeit in Deutschland organisieren, die CDU will Armut in Deutschland organisieren.

Die Nord-Grünen werden sich weiterhin für eine sozial gerechte Ausgestaltung der Arbeitsmarktreform einsetzen. Wir haben eine Vielzahl von Verbesserungsvorschlägen genannt, die insbesondere die Zuverdienstmöglichkeiten von Arbeitslosengeld II-Empfängern und die Situation von Frauen in den Blick nehmen. Arbeitsagentur, Bundesländer und Kommunen müssen unter allen Umständen sicherstellen, dass die neuen Leistungen pünktlich an die Betroffenen ausbezahlt werden.

Darüber hinaus sollten alle Beteiligten ihren Teil dazu tun, dass die aktivierenden Leistungen so schnell wie möglich bereitgestellt und die nötigen Mittel freigegeben werden.

Von Gotthold Ephraim Lessing stammt der Ausspruch: „Ich will keine Gnade, ich will Gerechtigkeit“. Gerade in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs ist die Gerechtigkeit von politischem Handeln der wichtigste Maßstab. Die Sicherung vor Armut ist keine Gnade des Staates gegenüber dem Bürger, sie ist ein Bürgerrecht. An diesem Maßstab muss sich der Umbau unserer Sozialsysteme messen lassen. Und gerecht kann nur eine Politik sein, die den Sozialstaat auch für nachfolgende Generationen sichert.

Karl-Martin Hentschel