Erneuerbares Brandenburg

Ein anderes Brandenburg ist möglich. Nur wie sieht es aus? Die taz stellt Projekte vor, die nicht auf die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse zielen, sondern auf neue Qualitäten / von UWE RADA

Erneuerbare Landschaft

Wenn es stimmt, dass Landschaftsbilder hartnäckig sind, ist die Lausitz eine Ausnahme. Einst eine der rückständigsten Regionen Deutschlands, verwandelte sich die Region im Südosten Brandenburgs (und Nordosten Sachsens) im 20. Jahrhundert zum Braunkohlerevier Mitteldeutschlands. Die Ansiedlung neuer Industrien in der DDR tat ein Übriges – die Lausitz wurde von der Natur- zur Kulturlandschaft. In der Ausstellung „Zeitmaschine Lausitz“ in Großräschen kann man allerdings schon die nächste Stufe nachvollziehen – die Rückverwandlung in eine „industrielle Folgelandschaft“. Maßgeblich verantwortlich für die neuen Bilder in der Lausitz ist die „Internationale Bauausstellung Fürst-Pückler-Land“. In zahlreichen Projekten machen sich IBA-Chef Rolf Kuhn und seine Mitstreiter auf die Suche nach einer Zukunft jenseits der industriellen Moderne.

Sie finden sie in der Modellierung neuer Seenlandschaften, der touristischen Nutzung industrieller Hinterlassenschaften oder der Entwicklung neuer Produkte in den Mauern alter Fabriken wie im Kraftwerk Plessa. Damit verändern sie quasi auch die inneren Landschaften in den Köpfen der Menschen. Der Abschied von der Industrie wird nicht mehr nur als Verlust empfunden, sondern als Möglichkeit. So fängt man an, in die Zukunft zu schauen, ohne die Vergangenheit zu vergessen.

Erneuerbare Bildung

Sinkende Geburtenraten und Abwanderung in den Westen haben in Brandenburg nicht nur gravierende Auswirkungen für die Entwicklung der Regionen jenseits des Berliner Speckgürtels. Auch die Bildungspolitik ist eng mit dem Thema Schrumpfung verknüpft. Und das nicht erst, seitdem der Soziologe Ulf Matthiesen davon sprach, dass in manchen Landstrichen Brandenburgs nur noch „arbeitslose Stadtdeppen“ übrig blieben.

Gleichwohl haben die wütenden Reaktionen auf diesen Befund gezeigt, wie sehr Matthiesen den Finger in eine offene Wunde gelegt hat. Während die Öffentlichkeit nahezu ausschließlich auf Pisa und die Schulpolitik schaut, fristet die Erwachsenenbildung zumeist ein Stiefmütterchendasein. Dabei kommt gerade der beruflichen wie auch der außerberuflichen Weiterbildung eine zentrale Rolle für die Entwicklung der benachteiligten Regionen zu. Nicht nur um die – ohnehin schwierige – Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt geht es da, sondern auch um Empowerment, um lebenslanges Lernen, um Selbstwertgefühl und aufrechten Gang. In einigen Regionen sind Lernnetzwerke entstanden, die sich um eine Neuordnung und Vernetzung der Angebote in der Weiterbildungslandschaft bemühen. Beispiele dafür sind die „Lernende Lausitz“, die lernenden Regionen Uckermark und Elbe-Elster oder das Frauennetzwerk „Owen“. Noch aber gilt: Der Abschied von der Wachstumsgesellschaft ist im Bildungskanon nicht angekommen.

Erneuerbarer Tourismus

Lange Zeit galten Umweltschützer als Investitionshindernisse. Nun, da sich herumgesprochen hat, dass die Investitionen nicht kommen, entdeckt man den Umwelt- und Naturschutz als Wirtschaftsfaktor. Und in der Tat: Brandenburg hat auf diesem Gebiet einiges aufzuweisen. Mit dem Nationalpark Unteres Odertal und den Biosphärenreservaten Schorfheide-Chorin, Flusslandschaft Elbe und Spreewald hat Brandenburg alleine vier so genannte Großschutzgebiete. Hinzu kommen noch einmal elf Naturparks. Insgesamt stehen in Brandenburg mehr als 40 Prozent der Flächen unter Naturschutz. Das honorieren inzwischen auch die Touristen. Namentlich der sanfte Tourismus (Radtourismus, Wassertourismus, Wandern, Wellness) verzeichnet seit Jahren Zuwachsraten.

Dabei kommt es allerdings immer wieder zu Zielkonflikten zwischen „erneuerbarem Tourismus“ und erneuerbaren Energien, wie das Entstehen zahlreicher Bürgerinitiativen gegen die „Verspargelung“ von Landschaften beweist. Warum aber nimmt man nicht auch die Windräder als Beweis dafür, wie sich das Bild von Landschaften verändern kann?

Erneuerbare Wirtschaft

Das Scheitern der Großprojekte in Brandenburg ist Legende. Von den Erfolgen dagegen spricht kaum einer. Dabei hat gerade die Region Cottbus bewiesen, welch positive Effekte die Verknüpfung von Hochschule Wissenschaft und Wirtschaft bringen kann. Kern des Cottbusser Erfolgs ist die Brandenburgische Technische Universität (BTU). In seiner jüngsten Evaluation bescheinigte der Wissenschaftsrat der BTU eine außerordentliche Entwicklung – sowohl was die Einwerbung von Drittmitteln als auch was die Attraktivität für ausländische Studenten betrifft. Beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit ist in und um Cottbus ein Kompetenzzentrum für Umwelt und Technologie entstanden, das der Clusterbildung in anderen Regionen Ostdeutschlands in nichts nachsteht. Doch auch der Cottbuser Weg zu einem „Jena Brandenburgs“ hat nicht verhindern können, dass die Arbeitslosigkeit bei 20 Prozent liegt und die Menschen abwandern. Die Leuchttürme in der Wüste werden auch in Zukunft nicht alle ernähren können. Bürgergeld, Bürgerarbeit oder ähnliche Themen stehen deshalb auf der Agenda.

Erneuerbare Stadt

Stadtumbau ist in aller Munde. Doch in Brandenburg hat man ihn begonnen. Während die meisten ostdeutschen Kommunen noch auf Verdichtung, Neubau und Gewerbegebiete setzten und nicht verstanden, warum die Stadt dennoch anderen Regeln folgte als denen des Wachstums, begann man in Schwedt mit dem Abriss der ersten Wohnungen. Aber auch heute, da man inzwischen weiß, dass Rückbau alleine noch keinen Stadtumbau macht, sucht man in Brandenburg nach neuen Wegen. In Forst zum Beispiel wird das Thema Stadtumbau mit der Entwicklung neuer Marken für die regionale Ökonomie und die Bildung verknüpft. Stadtumbau als Querschnittsthema, das macht den Forster gleichermaßen zum Bürger, Lernenden und Unternehmenden. Das ist das genaue Gegenteil von dem, was Stadtbewohner in vielen Teilen des Ostens noch sind: Adressaten einer Politik von oben.

Erneuerbares Denken

Auch wenn das Gerücht anders geht: Brandenburg war schon immer ein Land der Begegnung von Tradition und Moderne. So wäre eine Entwicklung des Oderbruchs zur fruchtbaren Ackerlandschaft nicht möglich gewesen ohne den Zuzug von außen, von Religionsflüchtlingen aus Frankreich, England und Polen. Sie waren es, die das hinzugewonnene Land bestellten und aus ihm die Kornkammer Berlins machten. Auch heute sind es im Oderbruch wieder die Zuzügler, die neue Ideen bringen. Vor allem Künstler und Kunsthandwerker haben dafür gesorgt, dass die entlegene Landschaft nicht nur Abwanderungs-, sondern auch Zuzugsregion ist. Mittlerweile gibt es für diese „Kolonisten der Neuzeit“ auch einen sozialwissenschaftlichen Begriff. Das Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner nennt sie „Raumpioniere“. Jenseits der staatlichen Alimentierung, so das Konzept, entwickle der Raumpionier in der Auseinandersetzung mit der Region neue Strategien des Niederlassens und Bleibens. Es ist im wahrsten Sinne eine Laborsituation, die da entsteht. Man probiert aus, sucht seine Marktnischen, und wenn es klappt, dann bleibt man.

Erneuerbarer Verkehr

Ein regelmäßiger und in dichter Folge verkehrender öffentlicher Nahverkehr gehört in Deutschland zu den Voraussetzungen der Herstellung gleicher Lebensverhältnisse. Wer den ÖPNV einstellt, muss sich also fragen lassen, ob er die schrumpfenden Regionen sich selbst überlassen will. In anderen Ländern gibt es andere Leitbilder von Entwicklung, wie zum Beispiel in Schweden. Auch dort gibt es entlegene Landstriche, doch die sind meist nur mit dem eigenen Pkw zu erreichen, wie mancher Brandenburger selbst vielleicht im Urlaub erfahren hat. Inzwischen gibt es aber auch Lösungen, wie man bei abnehmenden Fahrgastzahlen dennoch öffentliche Mobilität sichern kann. Der Rufbus in der Uckermark etwa bringt einen für nur 80 Cent Aufschlag zum Normaltarif überall hin, wo man will. Ist das nun ein Verlust, oder ist das Innovation? In Westdeutschland schaut man jedenfalls mit großem Interesse auf Lösungen wie diese, weil man weiß: Ungleiche Entwicklung von Regionen gibt es nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch zwischen Nord und Süd, Stadt und Land, Saarland und Baden-Württemberg.