Feuer in der Bikinizone

Dies ist kein Fashion-Shoot, dies ist Rock ’n’ Roll, Mann! Terry Richardsons Ausstellung „Too much“ arbeitet zielgruppenorientiert am Skandal vorbei – trotz oder vielleicht gerade wegen der Anleihen beim klassischen Porno

Mehr ist mehr, aber was zu viel ist, ist zu viel. Dabei kann man Terry Richardson durchaus keinen Vorwurf machen, seine Auftragsarbeiten für die Benetton-Tochter Sisley so und nicht anders in den Berliner Kunst-Werken zu präsentieren. Wohin man auch schaut, springen einem gewagt getrimmte Bikinizonen entgegen, nicht der kleinste Sicherheitsabstand trennt die großformatig lutschenden Models, und wo es kein Schwanz ist, der lang und hart aus dem Höschen ragt, ist es – so viel Spaß muss sein – zumindest eine Banane.

Die reinste Reizüberflutung auf zwei dicht behängten Etagen, nervenzerrend verstärkt durch Terry Richardsons mit Garagenrock unterlegten Modelanfeuerungen: „That’s great, that’s sick“, knallt es da aus den Boxen, und: „You have a fire between your legs.“ Wer es jetzt noch nicht bemerkt hat, dem kann nur noch der Katalog weiterhelfen: Dies ist kein Fashion-Shoot, heißt es gleich auf der ersten Seite, dies ist Rock ’n’ Roll. „Too much“, schreit es auch vom Ausstellungsposter, auf dem folgerichtig nicht zwei Münder in einen Zungenkuss vertieft sind, sondern drei – das „hard“ in „Richardson“ noch einmal extra pink gefärbt; besser ist besser, man weiß ja nie.

Sosehr die Ausstellung ihrem Motto gerecht wird, so wenig versteht sie es, als Ausstellung zu fesseln. Da mögen noch so viele Grazien halb nackt im Kuhstall knien – die Augen lasziv geschlossen, den Mund halb offen, während ein rosa Kuheuter zum unvermeidlichen Cum-Shot ansetzt. Was beim Durchblättern eines Modemagazins für Aha-Effekte sorgt, verursacht im musealen Großaufgebot kaum mehr als müdes Gähnen.

Wie ein klassischer Porno, der auch nur so lange interessant ist, solange das bereitgelegte Taschentuch nicht seiner Bestimmung zugeführt wurde, wird auch „Too much“ schnell langweilig, und das ohne die erlösende Triebabfuhr. Kann der Pornokonsument nach getaner Arbeit wieder befreit zum Suhrkamp-Bändchen greifen, bleibt dem Kunst-Werke-Besucher immerhin die Chance, im gleichen Haus etwas wirklich Verstörendes zu erleben: Taryn Simons brillante Fotoreportage „The Innocents“, die im Untergeschoss die Lebensläufe von zu Unrecht verurteilten US-Amerikanern dokumentiert, während eine Etage höher Terry Richardson Sex mit einem Schaf antäuscht.

Und genau hier liegt Richardsons Problem: Vor zwanzig Jahren hätte ein Kind noch zu seiner Mutter gesagt: „Hey, guck mal, der Mann da hat eine nackte Frau auf den Arm tätowiert, ist er nicht cool?“ 17.000 Nachmittagstalkshows später heißt es allenfalls: „Guck dir den Mann an, er trinkt seinen eigenen Urin und schläft mit toten Transsexuellen. Not that again.“

Sosehr sich Richardson das wünschen würde, die Sexkarte, sticht schon lange nicht mehr. Skandale, das weiß man gerade in den Kunst-Werken am besten, werden heute anders provoziert. Dann, auf dem Heimweg, mit einem gratis „Too much“-Slip unterm Arm, die Erkenntnis, dass doch alles Sinn machen könnte, zumindest für den Sponsor. Wer hier schockiert ist, kauft sein Büroblüschen garantiert bei Sisley, zielgruppenorientierter ist selten am Skandal vorbeigearbeitet worden. CORNELIUS TITTEL

Bis 23. 11., Kunst-Werke, Auguststr. 69, Mitte