Regierung uneins über Lehrstellenabgabe

SPD-Fraktionschef Müntefering setzt Wirtschaft neue Frist bis Anfang November, auch Grüne drängen auf Einführung der Ausbildungsplatzabgabe – doch Kanzler Schröder vertraut jetzt wieder auf die Selbstverpflichtung der Wirtschaft

BERLIN taz ■ In der Regierung herrscht bisher keine Einigkeit über die Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe. Während Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) nach dem Lehrstellengipfel am Donnerstagabend von einer solchen Regelung wieder abrückte, will SPD-Fraktionschef Franz Müntefering die Abgabe weiterhin noch in diesem Jahr beschließen – falls die Unternehmen nicht genügend Lehrstellen schaffen. „Im Bedarfsfall und wenn alle anderen Ansätze unzureichend bleiben“ werde man dafür sorgen, dass jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz bekomme, schrieb Müntefering in einem Brief an die SPD-Abgeordneten. Bis November soll die Wirtschaft eine Zwischenbilanz vorlegen.

Schröders Sprecher Bela Anda sagte dagegen, die Wirtschaft habe sich für zusätzliche Arbeitsplätze in die Pflicht nehmen lassen. Dies sei „bemerkenswert und begrüßenswert“. Eine ausgeglichene Bilanz sei bis zum Jahresende möglich.

Nach dem Gipfel hatte der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) angekündigt, bis zum Ende des Jahres allen ausbildungswilligen Jugendlichen eine Lehrstelle anzubieten. Nun sollen in den nächsten Wochen alle Jugendlichen, die noch ohne Lehrstelle sind, angeschrieben werden. ZDH-Generalsekretär Hanns-Eberhard Schleyer geht nach eigenen Worten davon aus, dass jeder eine Lehrstelle bekomme, der sich auf die Aktion melde.

Bildungsministerin Edelgard Bulmahn und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement begrüßten die Ankündigung der Wirtschaft. Clement hält nichts von der Abgabe, Gleiches gilt für den nordrhein-westfälischen SPD-Vorsitzenden Harald Schartau und den Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster.

Bulmahn sagte, die Regierung wolle mit freiwilligen Maßnahmen ein ausgeglichenes Verhältnis von Bewerbern und Ausbildungsplätzen erreichen. „Sollte dies nicht gelingen, steht das Wort des Bundeskanzlers, dass es eine Ausbildungsplatzabgabe geben wird.“ In seiner Rede zur Agenda 2010 hatte Schröder eine gesetzliche Regelung angekündigt, wenn die Wirtschaft bis zum 30. September nicht genügend Lehrstellen schaffe.

Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer rief die Bundesregierung auf, jetzt eine Abgabe für Betriebe, die nicht ausbilden, auf den Weg zu bringen: „Ich erwarte, dass jetzt gehandelt wird.“ Die Grünen setzen sich ebenfalls für die Einführung der Abgabe ein.

Die Opposition lehnt die Abgabe dagegen strikt ab. Die bildungspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Katherina Reiche, forderte die Regierung auf, „das Gerede über eine Ausbildungsplatzabgabe sofort einzustellen“. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Martin Wansleben, verwies darauf, dass viele Jugendliche nicht auf Einladungen zur Vermittlung eines Ausbildungsplatzes reagieren würden. „Wer nicht kommt, der will auch nicht“, sagte er im WDR. Offiziell stehen 35.000 Jugendlichen ohne Lehrstelle nur rund 14.800 freie Plätze gegenüber.

ANDREAS SPANNBAUER

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