Aznar muss vor Spaniens Terrorausschuss

Parlamentarische Untersuchung der Terroranschläge des 11. März wird ausgeweitet – aber nicht so weit wie erhofft

MADRID taz ■ Spaniens ehemaliger Ministerpräsident José María Aznar muss nun doch vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Anschlägen am 11. März aussagen. Das beschloss die Kommission gestern einstimmig. Am 5. Oktober wird der Ausschuss das Datum für Aznars Auftritt beschließen. Der Konservative soll befragt werden, warum seine Regierung die Bomben auf die Pendlerzüge in Madrid, die am 11. März 191 Menschenleben forderten, auch dann noch der baskischen Separatistenorganisation ETA zuschrieb, als längst alle Indizien auf eine islamistische Urheberschaft schließen ließen. Neben Aznar werden zwölf weitere Zeugen vorgeladen, darunter der Direktor von Interpol sowie der EU-Kommissar für Justiz und innere Sicherheit.

Noch vor wenigen Tagen sah es so aus, als würde Aznar nicht vorgeladen werden. Nur die kleinen Parteien verlangten seine Einbestellung. Die Sprecher der regierenden sozialistischen PSOE und von Aznars Volkspartei (PP) im Ausschuss erklärten immer wieder, Aznar könnte zu den Untersuchungen nichts beitragen, was nicht auch schon andere hohe Vertreter seiner Regierung erklärt hätten. Erst zu Beginn dieser Woche schwenkte dann der sozialistische Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero um. In einem Radioprogramm vom Montag erklärte der junge Politiker, den die Wähler nur drei Tage nach den Bomben überraschend an die Macht brachten: „Ich würde Aznar schon gerne hören.“ Die Konservativen wollten nicht als Blockierer dastehen und stimmten ebenfalls für die Vorladung.

Bisher drehte sich die Arbeit der Parlamentarier im Untersuchungsausschuss hauptsächlich um zwei Themen. Die Sozialisten wollten noch einmal beweisen, was dank der Presse längst klar war: Die Regierung unter Aznar hatte bis zum Schluss versucht, die Urheberschaft für die Terroranschläge ETA zuzuschreiben, um so am 14. März die Wahlen zu gewinnen. Aznars PP lenkte ihr Augenmerk wiederum auf die Demonstrationen, die am Vorabend der Wahlen stattfanden. Aufgerufen per SMS, waren überall im Land Demonstranten unter dem Motto „ Wir wollen die Wahrheit“ zu den Parteilokalen der PP gezogen. In Spanien sind Demonstrationen am Tag vor einem Urnengang jedoch von der Verfassung verboten, damit die Wähler in Ruhe nachdenken können. Die PP versucht deshalb nachzuweisen, dass die Kundgebungen von Politikern der PSOE organisiert wurden.

Nicht vor dem Ausschuss aussagen wird trotz wiederholter Forderung der Angehörigen der Terroropfer der Polizeispitzel Rafa Zouhier, der im Zuge der Ermittlungen festgenommen wurde. Der Marokkaner behauptet, er habe seinen Kontaktmann bei der Guardia Civil auf den Sprengstoff- und Waffenkauf des Kommandos aufmerksam gemacht, ohne dass die Ermittlungsbehörden tätig wurden. Schlimmer noch, so Zouhier, der seine Aussagen in Briefform der Tageszeitung El Mundo zukommen ließ: Das Kommando von Madrid bezog die Waffen von einem Polizeibeamten, der vom Dienst suspendiert wurde. Das Dynamit stammte von einem ehemaligen Minenarbeiter aus der nordspanischen Provinz Asturien. Er arbeitete als Informant für die Nationalpolizei. Auf Antrag der PP wird der Untersuchungsausschuss Polizeidokumente zu diesen Vorwürfen einsehen.

Unterdessen wurden gestern in Barcelona zehn Personen pakistanischer Herkunft festgenommen. Die Ermittlungsbehörden vermuten, dass sie von Spanien aus Unterstützungsarbeit für eine militante islamische Gruppe in Nordafrika oder im Nahen Osten geleistet haben. Mit den Anschlägen vom 11. März sollen die Verhafteten nicht in Verbindung stehen. Waffen sollen keine gefunden worden sein. REINER WANDLER