Seitensprung ohne strafrechtliche Folgen

Türkische Regierung lässt nach Protesten ihr Projekt fallen, Ehebruch wieder unter Strafe zu stellen. Dafür wird Vergewaltigung in der Ehe ein Straftatbestand. Frauenrechtlerinnen bezeichnen die Reform des Strafgesetzbuches als „kleine Revolution“

AUS ISTANBULJÜRGEN GOTTSCHLICH

Nach heftigen Protesten im In- und Ausland will die türkische Regierung nun doch darauf verzichten, Ehebruch wieder unter Strafe zu stellen. In einem Spitzengespräch zwischen Außenminister Abdullah Gül, Justizminister Cemil Cicek und Oppositionsführer Deniz Baykal einigte man sich unmittelbar bevor am gestrigen Nachmittag eine Parlamentssondersitzung zur Beratung des neuen Strafgesetzbuches begann, einen entsprechenden Paragrafen nicht mehr dem vorliegenden Entwurf hinzuzufügen. Die praktischen Auswirkungen, so ein Abgeordneter der Opposition, wären sowieso gleich null gewesen, weil kaum eine Ehefrau ihren Mann angezeigt hätte. Im Übrigen hätte die Diskussion gezeigt, dass die türkische Gesellschaft eine solche Strafrechtsnorm in weiten Teilen nicht mehr akzeptiere.

Die Strafbarkeit von Ehebruch war 1996 abgeschafft worden, nachdem das Verfassungsgericht festgestellt hatte, dass durch das Gesetz der Gleichheitsgrundsatz zwischen Mann und Frau verletzt wird. Die Debatte über die Strafbarkeit von Ehebruch hatte in den letzten Tagen die „Jahrhundertreform“ des türkischen Strafgesetzbuches, die als letzter Baustein im Rahmen der Harmonisierung türkischer Gesetze mit EU-Recht gedacht ist, völlig überlagert.

In einer Rede vor der Fraktion beklagte sich Außenminister Abdullah Gül am Vormittag bitter über die ungerechtfertigte Kritik von EU-Kommissar Günter Verheugen und etlichen anderen Politikern aus verschiedenen EU-Ländern. Die AKP-Regierung ist verärgert, dass durch die Kontroverse um die strafrechtliche Verfolgung von Ehebruch die gesamte umfangreiche Reform des Strafgesetzbuches „vom Tisch gewischt wird, für einen Paragrafen, der noch nicht einmal formuliert ist“, wie Gül beklagte.

Tatsächlich sieht die Reform des 1926 in Kraft getretenen Strafgesetzbuches umfangreiche rechtliche Verbesserungen für Frauen vor. Als „kleine Revolution“ bezeichnet die Frauenrechtlerin Pinar Ilkkaracan von der Initiative „Women for Womens Human Rights“, dass zukünftig Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wird. Damit werde klar zum Ausdruck gebracht, dass die Ehefrau nicht Besitz des Mannes ist. Auch die so genannten Jungfrauentests, mit denen junge Frauen und Mädchen terrorisiert worden waren, werden zukünftig zwar nicht komplett verboten, dürfen aber nur noch auf Anordnung eines Richters durchgeführt werden.

Komplizierter verhält es sich im Umgang mit den so genannten Ehrenmorden, also Tötungen von Frauen und Mädchen, die angeblich durch unehrenhaftes Verhalten Schande über die Familie gebracht haben. Nach dem neuen Gesetz soll es für Morde, die aufgrund von Traditionsgesetzen verübt werden, keinen Strafnachlass mehr geben.

Pinar Ilkkaracan und andere Frauenrechtlerinnen, die jahrelange Lobbyarbeit für eine strengere Bestrafung männlicher Familienangehöriger, die ihre Schwester oder Tochter umgebracht haben, hinter sich haben, fürchten, dass eine Hintertür offen bleibt. Der Verweis auf Tradition lasse den Richtern Raum, auf Mord im Affekt zu erkennen und trotzdem mildernde Umstände einzuräumen. Dennoch hält Ilkkaracan das Gesetz für einen Fortschritt, weil im Prinzip die Frau als Individuum mit eigenen Rechten anerkannt wird.

Auch in anderen Bereichen wird das türkische Strafrecht durch die Reform nun westeuropäischen Strafgesetzbüchern erheblich angenähert. So wird Meinungsfreiheit liberaler gefasst, Äußerungen dürfen nur noch geahndet werden, wenn die staatliche Sicherheit dadurch nachweislich gefährdet ist. Das Strafmaß für Folter wurde erhöht. Stirbt ein Häftling infolge von Folter, müssen die Verantwortlichen zukünftig lebenslang hinter Gitter. Auch sexuelle Misshandlung durch Sicherheitskräfte wurde erstmals gesondert geregelt und soll härter bestraft werden als außerhalb von Polizeistuben und Gefängnissen.

Erstmals strafbar werden sollen nun Delikte wie Organhandel oder organisierter Menschenhandel. Die Beratung des Gesetzes wird voraussichtlich mehrere Tage dauern. Die Regierung will die Neuregelungen aber bis Ende des Monats verabschieden, damit die EU-Kommission in ihrem Fortschrittsbericht darauf noch Bezug nehmen kann.