Auf Heller und Pfennig

In Belgien und den Niederlanden gibt es bald keine kleinen Centmünzen mehr. In Deutschland werden neue produziert. Glück bringen sie keinem, und zum Brautschuhkauf taugen sie auch nicht

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Als ich endlich begriffen hatte, wie das mit dem Glückspfennig funktioniert, war der Glückspfennig schon fast verschwunden. Eingeschmolzen entweder oder an Orten zur letzten Ruhe gebettet, die sich eine säkularisierte Gesellschaft für solch spirituell aufgeladenen Dinge angeschafft hat. Da gibt es etwa einen, der fährt seinen Glückspfennig im Aschenbecher seines Opel Zafiras durch die Gegend. Oder eine, die hat sich den Glückspfennig in ein Kräuterkissen eingenäht, das nun über dem Kopfende ihres Bettes hängt.

„G“ steht für Glück

Wie das mit dem Glückspfennig funktioniert, hat mir eine Fleischwarenfachverkäuferin in Marburg erklärt. Als ich mich nämlich artig – „Hey, einen Glückspfennig“ – bedankte, wies sie mich nach genauer Inspektion des Wechselgeldes darauf hin, dass dies gar kein Glückspfennig sei. Ein Glückspfennig sei der kleinste Nenner der Deutschen Mark nur dann, wenn darin ein G eingraviert sei. Meiner hatte ein F. Die Pfennige, die ich nach der Währungsunion in Sofaritzen oder Beifahrerräumen gefunden habe, habe ich diesbezüglich nicht mehr inspiziert.

Es gibt indes auch Eincentmünzen, in die, links unter dem Eichenlaub, ein G eingraviert ist. Von einem Glückscent ist hingegen nur selten die Rede. Und so dürften Holländer wie Belgier keine unglücklicheren Menschen sein, wenn sie künftig ohne Ein- und Zweicentmünzen auskommen werden. Zumindest im Portemonnaie. Wer mit Kreditkarte zahlt, wird weiter auf Heller und Cent abgerechnet. Bei Bargeldkäufen, etwa im Supermarkt, wird hingegen auf- und abgerundet. Allerdings dürften beide Länder mittelfristig dem Beispiel Finnlands folgen. Im nördlichsten Euroland hatte man die Münzen gar nicht erst eingeführt – und kennt so auch keine Preise, die auf 98 oder 37 Cent enden.

Und die Entschlackung im Geldbeutel scheint Schule zu machen. Österreichs Finanzminister Grasser kann sich ebenfalls vorstellen, „ein bisschen Gewicht in den Brieftaschen einzusparen“. In Frankreich plädiert Notenbankchef Christian Noyer zwar für einen Fortbestand der Centimestücke. 59 Prozent seiner Mitbürger allerdings könnten laut einer Umfrage gut darauf verzichten. Zumal zwei Drittel der Bevölkerung sogar ein dann übliches Abrunden auf den nächst kleineren Fünfcentbetrag erwarten. Und da die Menschheit immer älter wird, könnten die Franzosen so mit der Zeit kleine Reichtümer akkumulieren.

5.000 Tonnen neuer Cent

Nur in Deutschland ist man sich auch weiterhin sicher, dass der Bürger neben dem nominellen Wert seines Barvermögens auch die gefühlte Menge Portemonnaieinhalt wertschätzt. Was dann ein wenig an die kleinen Kinder erinnert, die man mit einer Tüte völlig wertloser, aber ziemlich bunter Briefmarken zu stolzen Sammlern erweckt. Jedenfalls hat die Bundesregierung bereits angekündigt, die etwaige Kleingeldverknappung zu verhindern. Von Aufträgen für 1,8 Millionen Kleinmünzen ist die Rede. Und von etwa 5.000 Tonnen Stahl, die dafür von der Bundeswertpapierverwaltung in Bad Homburg veranschlagt worden seien. Kostendeckend ist diese Kleingeldproduktion nicht. Dem gegenüber bleiben gerade einmal 120.000 Glückspfennige – seien sie nun mit oder ohne eingraviertem G –, die die Deutsche Bundesbank noch in den Nischen und Zwischenräumen unserer Gesellschaft vermutet, eine buchstäblich verschwindende Zahl. In Sofaritzen oder in Autoaschenbechern. Der Cent aber würde, wenn er denn dürfte, noch viel schneller verschwinden. Denn, und damit zurück zur Zeichenhaftigkeit eines Zahlungsmittels: Der Cent ist nie zum Pfennig geworden, war nie das niedliche Grinsegesicht des Kapitals. Kein putziger Begleiter, um den sich Geschichten und Gebräuche ranken. Und der zumindest für kurze Augenblicke suggerierte, dass das Geld tatsächlich auf der Straße liegt. Mit einer Tüte voll Centmünzen werden keine Brautschuhe gekauft. Ein Cent wird zum selben Anlass nicht in den Schuh gelegt. Oder, einmal kurz draufgespuckt, als Talisman in die Sakkotasche gesteckt. In vielen kulturelle Systemen spinnen sich ganz ähnliche Mythen um den jeweils kleinsten Wert eines Währungssystems.

Die Stellvertreterkultur des Talismans übrigens erlebte seine erste Blüte ausgerechnet in Babylon. In einer Gesellschaft also, so geht der Mythos, die den Pfennig nicht ehren, sondern nach höherem streben sollte. Aber kann eine Münze helfen, auf dem Boden zu bleiben? Ging es um den Pfennig, hat sich der Volksmund zu voll genommen. Zum Cent hat er nur noch geschwiegen.