Ne ruhige Kugel schieben

Die Welt ist eine Kugel (4): Im Schöneberger Heckmeck steht ein original Mata-Hari-Flipper aus dem Jahr 1978 – ein bedächtiger, aber nie langweiliger Klassiker

Im Heckmeck in der Nähe vom Metropol und dem Winterfeldtmarkt im schönen, angeschwulten Schöneberg weht der Geist von achtundsiebzig. Soeben wurde Aldo Moro entführt und Karol Wojtyla zum Papst gewählt. Und dann ist da noch Cordoba: Prohaska passt zu Krankl, der umdribbelt Bewacher Rüßmann, dann Libero Kaltz – Schuss, Tor, drei zu zwei …

Im Juniheft des Merkur hat David Wagner darauf hingewiesen, wie nebensächlich die bundesdeutsche Niederlage gegen die DDR 1974 war – und wie folgenreich die Schmach von Cordoba. Helmut Schön trat als Trainer und Eigentorschütze Berti Vogts als Mannschaftskapitän zurück, ein deutscher Tourist beging im Zillertal Selbstmord und die Bild-Zeitung veröffentlichte Hans Krankls private Telefonnummer. Zehn Jahre zuvor hat sich eine junge Generation noch erhoben, 1978 ging sie am Schock zugrunde! Status Quo, Uriah Heep, Disko, Glamrock, unter dem Pflaster nur Sand …

Doch das ist ein anderes Thema, also zurück zum Heckmeck. Die 1978 eröffnete Gaststätte ist riesengroß, verschnarcht und urgemütlich. Dunkle Holzdielen, ein großes, gefliestes WC, ein eigener kleiner Billardraum, ein Klavier und eine echte Litfaßsäule mitten im Raum. Heckmeck ist wirklich ein unpassender Name für diese heimelige Premiere-Sportsbar, viel treffender wäre Postkutsche oder Schluckspecht.

Allerdings ist Vorsicht geboten, denn im Heckmeck ticken die Uhren anders: Über dem Tresen hängt ein signiertes Fred-Bertelmann-Poster, an der Wand ein Plakat für eine Fluxus-Ausstellung aus dem Jahre 1983 und unter der Decke noch die festliche Dekoration zum 25-jährigen Jubiläum. Nichts Böses ahnend, zieht man sich mit einem der ausliegenden neun Bände des Großen Duden-Lexikon von 1969 an einen Schultheiss-Fasstisch oder in die leger französische, mannshoch fototapezierte Straßencafészenerie zurück – und zack, eh man sich versieht, hat man zwischen zwei Klogängen schon eine Europameisterschaft verpasst!

Gewiss, es gibt viele Arten, sein Leben zu entzeiten, doch das Spiel mit einem original Mata-Hari-Flipper aus dem Jahr 1978 gehört sicherlich zu den ungewöhnlichsten und unwahrscheinlichsten. Seit fast 20 Jahren hängt die Frontscheibe dieses Flippers im Gästeklo meines sammelwütigen Onkels – und heute stehe ich tatsächlich vor einem ziemlich abgerockten, aber noch funktionstüchtigen Gerät, dem Heckmeck sei Dank! 1978 war dieser vollkommen symmetrisch aufgebaute Flipper der letzte Schrei und begeisterte mit seinem modernen 4-Klang-Glockenspiel und den acht Fallzielen in den beiden target banks. Ich stecke mit zittrigen Fingern ein 50-Cent-Stück in den Münzschlitz, dong, die Reise beginnt. Wow, das heißt also, eine ruhige Kugel zu schieben.

Mata Hari ist ein bedächtiger, geduldiger, aber keineswegs langweiliger Flipper, der konzeptionell alle Elemente aufweist, die das Spiel auch heute noch so aufregend und spaßig machen. Ich erfülle eine Mission, verdoppele den Bonus, habe Pech und verliere den Ball im Seitenauslauf. Ohne zu zögern, schiebe ich ein 2-Euro-Stück nach, bekomme sieben Kredite, eine Ewigkeit. Ich spiele. 2004. 2005. 2006, das Wunder von Berlin. 2007. 2008. Spätestens 2009 brauche ich ein neues Bier. MARC DEGENS

Flipper: „Mata Hari“ von Bally. Standort: Heckmeck, Eisenacher Straße 111, 10777 Berlin-Schöneberg