Prozess wegen NS-Verbrechen beginnt

Vor dem Münchner Schwurgericht muss sich der 86-jährige Ladislav Niznansky verantworten – wegen eines Massakers

MÜNCHEN taz ■ Debnar, Isidor; Debnar, Maria; Debnar, Emil; Debnar, Juraj; Debnar, Filip; Debnar … – es wirkt gespenstisch, als der Staatsanwalt die Namen aller 164 Menschen verliest, die im Januar 1945 in den slowakischen Orten Ostry Grun, Klak und in einem Tal bei Ksina umgebracht wurden. Für einen Moment scheint das Geschehen zum Greifen nahe. Ganze Großfamilien hat die von der deutschen Wehrmacht zusammengestellte Einheit „Edelweiß“ damals ausgelöscht, darunter Säuglinge.

Seit gestern muss sich vor dem Münchner Schwurgericht der 86-jährige Ladislav Niznansky wegen dieser Massaker verantworten. Der gebürtige Slowake war damals Kommandant einer slowakischen Kompanie bei der zusammengewürfelten „Edelweiß“-Truppe, zu der auch Russen, Ukrainer und Deutsche gehörten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, 20 Menschen eigenhändig erschossen und die Ermordung der übrigen angeordnet zu haben – aus einer „unbarmherzigen, gefühllosen Gesinnung“ heraus.

Der Angeklagte verfolgte die schweren Vorwürfe mit einer Miene, die entweder regungs- oder verständnislos blieb – aber das dürfte daran gelegen haben, dass Niznansky ziemlich schwerhörig ist. Seit einem Schlaganfall im vergangenen Jahr leidet er zudem unter leichten Sprachstörungen. Daher verlas sein Anwalt eine Erklärung, die im Kern Folgendes enthielt; ja, Niznansky war Kommandant der slowakischen Einheit, aber er hat weder einen Befehl zum Töten gegeben noch selbst „die Hand erhoben“. Während des Massakers von Ostry Grun hätten seine Leute nur von einem Hügel aus zugesehen.

Sein Mandant sei nie ein Nazi gewesen. Allerdings habe Niznansky die Partisanenbekämpfung, zu der seine Truppe eingesetzt war, „für sinnvoll“ gehalten – weil das Massaker an der Zivilbevölkerung verhindert hätte.

Es wird, so viel lässt diese scheinbar widersprüchliche Erklärung bereits ahnen, nicht einfach sein, die Rolle von Ladislav Niznansky zu erklären. Als er erst stockend, aber bald sehr flüssig und mit einem verblüffend guten Gedächtnis auch für Details erzählt, ist schnell klar, dass es hier nicht um ein Verfahren gegen einen „mutmaßlichen“ typischen NS-Täter mit entsprechender Partei- und Militärkarriere geht.

Niznansky, der nach dem Krieg in Österreich und Deutschland für US-Geheimdienste und den Propagandasender Radio Free Europe arbeitete, diente nach seinem Abitur 1936 zunächst in der tschechoslowakischen, dann in der Armee des separaten NS-Vasallenstaates Slowakei. Wegen seiner Beteiligung an einem Aufstand gegen die von den Deutschen gelenkte Regierung wurde er verhaftet und, so sagt er, im Dezember 1944 unter Androhung von KZ oder Militärgericht zum Einsatz bei „Edelweiß“ gezwungen. Die Befehlsgewalt habe ausschließlich der deutsche Kommandant der Einheit ausgeübt.

Zu den ihm vorgeworfenen Gräueltaten wird sich Niznansky erst später äußern. Im weiteren Verfahren sollen Augenzeugen aussagen, die ihn schwer belasten. JÖRG SCHALLENBERG