Ein falsches Spiel

Wer bei „Monopoly“ gewinnen will, muss kungeln und mauscheln – bei den deutschen Meisterschaften genauso wie bei der Vermarktung des legendären Brettspiels

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Gäbe es im richtigen Leben auch Ereigniskärtchen, müssten Berliner beispielsweise gelegentlich nach Niederschönhausen aufbrechen, wenn es hieße: „Rücke vor bis zur Schlossallee“. Da stünden sie dann, die Berliner, inmitten einer ruhigen Wohnlage mit alten Bäumen, einem Park – und dann?

Aber natürlich kündigen sich im richtigen Leben die Ereignisse nur selten auf zart roten Pappkarten an. Im richtigen Leben muss man auch keine Miete zahlen, wenn man vorübergehend in Niederschönhausen weilt – oder, anderes Beispiel, am Bahnhof. Obwohl: Verwandeln sich Bahnhöfe nicht zunehmend in Orte, wie wir sie auch vom „Monopoly“-Brett kennen? Soll dort nicht eigentlich nur unterwegs sein, wer auch genügend Scheine in der Tasche hat, ist die Kontrolle dort nicht allgegenwärtig – die der Mitspieler oder die der Sicherheitsdienste?

Derartige Gedankengänge sind dem „Monopoly“-Spiel nicht fremd. Im Gegenteil beruht nicht zuletzt darauf sein Erfolg: Die kapitalistische Botschaft vom falschen Spiel wird auch im richtigen Leben und mittlerweile sogar in 25 Sprachen verstanden und hat sich weltweit beinahe 130 Millionen Mal verkauft – die vielen Nach- und Eigenbauten gar nicht mitgezählt, die entstanden, weil nicht genügend Echtgeld für das Spielgeld-Spiel da war oder weil ganze Gesellschaften nicht nach den „Monopoly“-Regeln kungeln und mauscheln sollten. Nicht mal im Spaß: Im sozialistischen Kuba oder in China ist „Monopoly“ noch heute verboten. In den neuen Bundesländern verkaufte sich das Spiel in den unmittelbaren Nachwendejahren schlechter als erwartet – viele Bürger hatten sich längst ihre eigenen Kopien gebastelt. Als Vorlage diente eines der raren Originale aus der Bundesrepublik, Weihnachtsgeschenk von der Westverwandtschaft und spielerischer Gruß vom Systemfeind. „Der Sinn des Spiels ist es, Besitztümer so günstig zu kaufen, zu vermieten oder zu verkaufen, dass man der reichste Spieler und möglicherweise Monopolist wird“, lautet noch immer der erste Satz der Spielanleitung.

Michel Foucault war es, der das 20. Jahrhundert einmal zum „Jahrhundert des Raums“ erklärt hat. Falls dem tatsächlich so ist, woran zwei Weltkriege eigentlich keinen Zweifel lassen, so ist „Monopoly“ – neben dem kriegerischen Strategiespiel „Risiko“ vielleicht – das passende Brettspiel zu dieser Obsession. „Monopoly“ stellt den urbanen Stadtraum zur Disposition und verknüpft die beiden großen Mythen eines zumindest amerikanischen Traums: den von der Urbarmachung des Landes (hier in Form von Haus- und Hotelbauten) und den vom Tellerwäscher zum Millionär. Wobei Letzteres nicht ganz richtig ist, hat doch jeder Spieler zu Spielbeginn ein Barvermögen von 30.000 Spielmark in der Tasche. Das reicht für alle vier Bahnhöfe, Schlossallee und Rathausplatz – wenn auch ohne Häuser und Hotels.

Angeblich hat’s ein arbeitsloser Heizungsingenieur erfunden …

An einen Ort wie die Schlossallee hat sich irgendwann in den Vierzigerjahren auch Charles Darrow zurückgezogen, hat fortan Rosen gezüchtet und Rosen fotografiert. „Monopoly“ hatte ihm Millionen beschert – ausgezahlt von Parker Brothers, dem mindestens mit dem Erfolg des Straßenverkaufsspiels erfolgreichsten Spieleproduzenten der USA. Darrow, ein arbeitsloser Heizungsingenieur, hat, so geht die Legende, „Monopoly“ erfunden. Einfach so, eines Abends im Frühjahr 1933, mitten in den Spätausläufern der großen Depression.

Für die ersten Exemplare erbettelte sich der Mann aus Germantown in Pennsylvania noch einen Kredit bei einer örtlichen Druckerei, die ihm 5.000 Spielbretter produzierte. Nachdem er diese mühsam in Kaufhäusern zwischen Boston, New York und Philadelphia platziert hatte, übertrug Charles Darrow die Vermarktungsrechte seiner Spielidee an den hellhörig gewordenen Spieleriesen. „Monopoly“ hatte in Darrow seinen ersten Gewinner gefunden. Eine Erfolgsgeschichte um einen glücklichen Einfall und reichlich strategischen Durchsetzungswillen, wie sie auch auf dem Spielbrett hätte spielen können – und die von Parker Brothers noch bis in die 70er hinein kolportiert wurde. Nur dass die Wahrheit eben eine andere war.

Zum Zeitpunkt der vermeintlichen Erfindung durch den arbeitslosen Ingenieur war das Spiel bereits 30 Jahre alt. Unter dem Namen „The Landlords Game“ hatte die Quäkerin Elisabeth Magie ein frühes „Monopoly“ am 23. März 1903 zum Patent gemeldet – angeblich auch, um spielerisch zu demonstrieren, wie Mietwucher und Besitzspekulationen dem Gemeinwohl schaden. Weswegen sie, als moralische Instanz, auch ein Gefängnisfeld und ein inzwischen längst vergessenes Armenhaus eingeführt hatte. Bliebe nur zu klären, ob es am Gesellschaftsspiel oder an der spielenden Gesellschaft gelegen hat, das dieser Anspruch reichlich früh verschütt gegangen ist. Verschütt gegangen war mit den Jahrzehnten auch ihr „Landlords Game“. Elisabeth Magie verkaufte die in Handarbeit gefertigten Exemplare nur in einigen Läden in Maryland und Eastern Pennsylvania. Mehr als ein paar hundert werden es kaum gewesen sein.

Auch die Wiederentdeckung des Landlords Game war indes ein Stück Kapitalismuskritik: Ralph Anspach, ein gemäß den Geistesströmungen seiner Zeit herrschaftskritischer Wirtschaftsdozent, reüssierte 1973 mit seinem Anti-„Monopoly“ – und wurde von Parker Brothers wegen Missbrauchs der Patentrechte verklagt. Während eines Jahre dauernden, von beiden Seiten mediengerecht inszenierten Rechtsstreits wurde Anspach zu einem Archäologen des Brettspiels. Und der „Monopoly“-Mythos weitreichend revidiert: Charles Darrow hatte letztlich nur an einer kollektiven Spielidee gebastelt, die über drei Jahrzehnte hinweg an der amerikanischen Ostküste zirkulierte und immer wieder Modifikationen und Umdeutungen erfahren hatte.

… und Goebbels hat’s angeblich verbieten lassen wollen

Ein genialer Einfall aber ist Darrow doch zuzuschreiben: Er orientierte sich bei der Benennung der Spielfelder – von der Baltic Avenue (Badstraße) bis zum Park Place (Schlossallee) – an den Straßen des Retorten-Seebads Atlantic City, in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts glamouröse Verheißung des kapitalistischen Traums, was im Ungefähren ja auch den Idealen von „Monopoly“ entspricht. Das deutsche Spielbrett ist hingegen das einzige, das nur fiktive Straßennamen kennt (wenngleich etwa unter den Straßen Berlins zufälligerweise nur Opernplatz und Theaterstraße fehlen).

Auch das ist eine Geschichte, zu der es viele Geschichten gibt. Wenige wahre, aber viele, die verdammt plausibel klingen, „und sich wohl auch deshalb so hartnäckig gehalten haben“, wie René Aden vom Deutschen Spielearchiv in Marburg vermutet. Eine davon geht ungefähr so: Reichspropagandaminister Joseph Goebbels habe sich persönlich für das Verbot einer frühen Lizenzausgabe durch den Nürnberger Spielehersteller Franz Schmidt eingesetzt. Denn das 1935 vorgestellte Spiel nahm sich den Berliner Stadtplan zum Vorbild und benannte ausgerechnet das Feld der heutigen Schlossallee nach der noblen Wannseeinsel Schwanenwerder – Goebbels Wohnort.

Richtiggehend verboten war „Monopoly“ im Dritten Reich dennoch nie. Auch nicht nach einem schriftlichen Ansinnen der Reichsleitung der Hitlerjugend, die das Spiel als „infolge seines spekulativen Charakters für die Erziehung der deutschen Jugend nicht geeignet“ befand. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ließen weitere Auflagen schlicht unrentabel erscheinen. Erst 1953, mitten in Wirtschaftswunder und Bauboom, kam „Monopoly“ wieder auf den westdeutschen Markt und bietet bis heute Raum für Distinktionen: Kein anderes modernes Gesellschaftsspiel war und ist in so vielen (auffällig luxuriösen) Editionen erhältlich, darunter eine aus Schokolade und eine aus massivem Gold, die Würfelaugen als schillernde Diamanten, die Spielhotels juwelenbesetzt. Die Prachtversion kostete angeblich über eine Million – US-Dollar, versteht sich, kein Spielgeld.