Panik im roten Panda

Ein Hartz-IV-Rabatt auf den Eintrittspreis: So verspricht der Theaterdiscounter Subversion. Doch das frisch ausgepreiste Stück „Arbeit, Angst, Angelika“ beeindruckt dann doch mehr durch den Mut der Schauspielerin als durch Inhalte

„Ich werde eine betonharte Thüringer Wurst vor die Tür des Bundeskanzleramts setzen“, droht Angelika. Das Berliner Premierenpublikum von „Angst, Arbeit, Angelika. Eine Frau, die einfach zu Höherem berufen ist: Angelika – Weltklasse für Deutschland!“ (Text: Steffi Hensel) dankt es der jungen Darstellerin Elisabeth Heckel mit begeistertem Applaus. Das war sie also auch schon, die abschließende Fäkal-Katharsis im „Theaterdiscounter“.

Keine Frage: Die 1980 geborene Heckel brennt an diesem Abend ein schauspielerisches Feuerwerk ab. Wild rennt sie hin und her, schreit, flüstert, flippt aus, überzeugend vor allem in ihrer würgenden Angst.

Mit durchsichtigen Plastikstreifen hat Gilvan Coêlho de Oliveira den Spielraum von der weiten Halle in der Monbijoustraße abgetrennt, in die der Theaterdiscounter seit über einem Jahr seine schnellen Produktionen setzt. Angelika lädt die Zuschauer zur intimen „Gruppentherapie“ ein– eine zunächst pfiffige, jedoch später merkwürdig folgenlos bleibende Idee. Verunsichert lassen sich die Zuschauer auf Sesseln und Stühlen nieder.

Mit verkrampftem Stolz erzählt uns Angelika von ihrem Ehe-Schlafzimmer, einem „Traum in Weiß“. Doch dahinter lauert der Horror. Es ist ihre ständige Angst vor dem sozialen Abstieg: plötzliche Kündigung, Kredit nicht zurückgezahlt, aus. Angelika klagt über die Arbeit in einem Meininger Call-Center. Und dann, fast manisch, ihre Erinnerung an das Jobangebot aus dem 67 km entfernten Fulda. „Kein Problem, ich freue mich, ich arbeite gern!“ Bis die Panik wieder unverhofft zuschlägt: „Ich werde am Steuer meines roten Fiat Panda sterben!“

Sollte man die Inszenierung auf eine Formel bringen, wäre es wohl die: ein schlechtes Stück, mäßige Regie, aber eine talentierte Schauspielerin. Während die Inszenierung des noch sehr jungen Regisseurs Nico Dietrich zwar viele Einfälle verschenkt, weil sie aus ihnen kein Kapital zu schlagen weiß, wartet Heckel als kompaktes Energiebündel auf. Mit ihrer thrashigen blonden Perücke wirkt sie zeitweise wie eine derbe Hannelore-Kohl-Parodie. Doch ehe sich ein solcher Charakter in ihrem Spiel konkretisieren ließe, ist sie schon wieder jemand anderes. Und wenn sie mit einem Salatkopf unterm Arm posiert, als trage sie eine Kanonenkugel, bekommt man Angst, dass sie gleich explodieren könnte. Was dann auch passiert: Salzstangen, Plastikbecher und Salatblattfetzen fliegen nur so umher. Diese wahrhafte Nitro-Frau ist der Hammer: Gebannt, fast ängstlich folgen ihr die Blicke der irritierten Zuschauer, irgendwo zwischen Faszination, Lachen und Furcht. Furcht nicht zuletzt vor den Spritzern des Sonnenöls, mit denen Angelika freigiebig umgeht.

Wer hier allerdings wegen Gags wie einem „Hartz-IV-Rabatt“ auf den Eintrittspreis subversives Theater gegen die Agenda 2010 erwartet, sei gewarnt. Denn falls die Inszenierung Kritik an der Bundesregierung üben wollte, bleibt rätselhaft, wieso hier von der SPD überhaupt keine Rede ist. Stattdessen schildert Angelika Visionen, in denen merkwürdigerweise der „Gärtner der Einheit“, Helmut Kohl, eine zweifelhafte Heldenrolle spielt. Wähnt man sich denn in Meiningen, wo das Stück im Juni einen Autorenwettbewerb gewann, noch immer in der Ära Kohl? Wieso arbeitet sich die bereits mit dem Retzhofer Literaturpreis 2003 ausgezeichnete Stückautorin immer noch an derart überstrapazierten „Birne“-Witzen ab? Auch der Untertitel des Stücks zeugt von tumber Pennälerironie. Darüber legt man besser den Mantel gnädigen Schweigens.

JAN SÜSELBECK

Theaterdiscounter, Monbijoustr. 1, 8.– 11., 15. + 16. September, 20 Uhr