Der Russische Kino-Klub macht im Metropolis einen Schlenker in die postsowjetische Tristesse
: Synthetisches Bonzen-Moskau

Würde jemand eine neue Geschichte des russischen Kinos schreiben, der Russische Kino-Klub hätte darin einen Platz verdient. Natürlich nur im Anhang zur Rezeption, vielleicht bloß in einer Fußnote zu Hamburg – aber was wäre das Kino schon ohne rezipierende Zuschauer? Und was wären die Zuschauer ohne die, die ihnen das Ferne ins örtliche Lichtspielhaus brächten? Seit bald drei Jahren zeigt uns der Klub nicht nur die Prunkstücke der Avantgarde oder bekannte Klassiker, sondern Monat für Monat Sowjet-Epen, Außenseiter, Ukrainisches, Kasachisches. Im Oktober steht nun ein Schlenker in die postsowjetische Gegenwart auf dem Programm. Die ist traurig: Die neuen Yuppies entdecken ihre innere Leere.

Er habe es satt, sagt in Filip Jankovskis In Bewegung (2002) ein Erfolgsjournalist zum anderen, dass die Welt in den Russen immer nur Gauner sehe. Alles voller protzender Neureicher, und denen kann man nicht trauen, so das Klischee. Jankovski beutet es ungeniert aus – sein Film wirkt selbst derart neureich, dass der Westler nicht mehr sagen kann, ob das nun Ironie ist oder nicht, ob er lachen oder gehen soll. In Bewegung erzählt im Stil einer aufwändigen RTL-Produktion entlang eines Plots um ein Paparazzo-Foto die erotische und berufliche Krise des Journalisten Sascha. Mit seinen Enthüllungsstorys will er gegen die Korruption kämpfen, kommt dabei aber übers Reißerische nicht hinaus.

Das bleibt im Film allerdings Hintergrund, Vordergrund ist ein synthetisches Bonzenmoskau, in dem zwischen all den Daimler, Audis und BMWs kein einziges russisches Auto zu sehen ist – abgesehen von einem verschämten Wolga-Taxi bei Nacht. Jeder flotte Schnitt wird von einer Handymelodie begleitet, hinter jeder Tür wartet eine neue sexbesessene Frau auf Sascha, um ihn weiter in die Entfremdung zu stürzen. Als dann alle Typen durchgespielt sind – die hysterische Dunkle, das laszive blonde Kindchen, das kühle Platinweib und so weiter –, schließt sich holpernd der Kreis: Sascha sieht in einer Pferdepflegerin das Unterpfand für eine reine Zukunft – aber zu spät, der Zug fährt ab ...

Verblüffend die Parallelen zu Himmel. Flugzeug. Mädchen. (2002, Foto) von Vera Storozheva. Auch hier geht es um das Liebesleben eines erfolgreichen Medienmannes, Gregori, auch hier gibt der gewendete russische Materialismus den roten Faden ab. Nur sind hier die Einstellungen noch extremer, zielt die Absicht aufs Elegische, ist das Drehbuch hochpoetisch. Geschrieben hat es Renata Litvinovna, die im Film die unnahbare Stewardess Lara spielt, über die sich Gregori den Macho-Dickkopf zerbrechen darf. Laras Rätselhaftigkeit geht durch exzessives Overacting vom Neurotischen ins Psychotische und wieder zurück. Als hätte Russland keine anderen Probleme. Bei Storozheva haben es zwar manche Aspekte der sozialen Wirklichkeit in den Film geschafft, aber, noch erschreckender als Jankovskis Hochglanztrash, nur als hässliche Karikatur.

Da bietet die Trickfilmrolle des Moskauer Pilot-Studios willkommene Zerstreuung. Cartoon-Handwerk, auf internationalem Niveau produziert, wechselt sich da mit grüblerischem Surrealismus ab, Buntstift mit Digitaltechnik, Sexuelles mit Geschichtsträchtigem – wie in Die roten Tore von Rashomon, wo Aki Kurosawa und Fjodor Dostojewski um die Wette Schlittschuh laufen. Zwanglos metaphysisch dagegen Die andere Seite von Michail Aldaschin, eine Fabel vom Regenwurm und dem unentrinnbaren bösen Vogel mit dem großen Schnabel.

JAKOB HESLER

Himmel. Flugzeug. Mädchen.: Fr 21.15 Uhr; In Bewegung: Do 17 Uhr, Mo 21.15 Uhr; Die Alten: Do 21.15 Uhr; Dziga und seine Brüder/Jagd auf einen Engel: Mo 17 Uhr, Mi 21.15 Uhr; Tschechow-Motive: Di 17 Uhr, 13.10. 21.15 Uhr; Animationsfilme: 9.10. 21.15 Uhr, 11.10. 17 Uhr, Metropolis