UN-Mission beginnt mit Etikettenschwindel

Heute setzen die westafrikanischen Eingreiftruppen in Liberia blaue Helme auf und verwandeln sich in UNO-Soldaten

„Berichte über Gewalt in Dörfern nehmen zu, seit Friedenstruppen stationiert wurden“

BERLIN taz ■ Im westafrikanischen Bürgerkriegsland Liberia beginnt heute eine der größten UN-Missionen der Welt. Die UN-Truppe „Unmil“, deren Stärke vom Sicherheitsrat am 19. September auf bis zu 15.000 Soldaten plus 1.115 Polizisten festgelegt wurde, löst die westafrikanische Eingreiftruppe „Ecomil“ ab, die auf Beschluss der Regionalorganisation Ecowas (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) seit dem 4. August die Hauptstadt Monrovia gesichert sowie den Rücktritt von Präsident Charles Taylor überwacht hatte.

Allerdings ist der Wachwechsel ein reiner Etikettenschwindel. Die rund 3.500 westafrikanischen Soldaten, mehrheitlich aus Nigeria, werden heute ihre grünen Ecomil-Helme absetzen und dafür blaue UN-Helme aufsetzen. Die Soldaten bleiben dieselben. Zeitgleich ziehen die drei US-Kriegsschiffe vor dem Hafen Monrovia wieder ab, deren 4.000 Marines eine Garantie internationaler Wachsamkeit für Liberia dargestellt hatten.

Die vollständige Stationierung der Liberia-Truppe wird nach Angaben des UN-Sonderbeauftragten Jacques Klein „ungefähr vier Monate dauern“. Zu den Westafrikanern – sie kommen aus Benin, Gambia, Ghana, Guinea-Bissau, Mali, Nigeria, Senegal und Togo – kommen nach UN-Angaben „innerhalb von zwei Wochen“ 800 Soldaten aus Bangladesch.

Unmil-Sprecherin Margaret Novicki präzisierte am Montag: „Ansonsten gibt es keine offiziellen Zusagen.“ Verhandlungen seien jedoch im Gange. Inoffiziell werden Pakistan, Russland, Südafrika, Äthiopien, Namibia und Irland als mögliche Truppenentsender genannt. Sollten diese Soldaten jemals kommen, warten große Aufgaben auf sie. Die UN-Truppe soll vor allem Liberias neue Übergangsregierung schützen, auf die sich die Kriegsparteien des Landes im August geeinigt hatten und die am 14. Oktober ihr Amt aufnehmen soll. Der parteilose Geschäftsmann Gyude Bryant wird zwei Jahre lang als Übergangspräsident eine Mannschaft führen, in der Vertreter der bisherigen Regierung neben Abgesandten der Zivilgesellschaft sowie der beiden Rebellenbewegungen Lurd (Vereinigte Liberianer für Versöhnung und Demokratie) und Model (Bewegung für Demokratie in Liberia) sitzen. Lurd, unterstützt von Guinea, kontrolliert den Norden und Westen Liberias; Model, unterstützt von der Elfenbeinküste, den Süden und Osten mit allen wichtigen Häfen außer der Hauptstadt Monrovia, die sich zusammen mit Teilen des Landeszentrums weiter in den Händen der bisherigen Regierungsarmee befindet.

Als Ecomil rückten die westafrikanischen Eingreiftruppen nur sporadisch aus Monrovia an die Frontlinien aus, um dort humanitäre Hilfe abzusichern. Die Kapazitäten reichten nicht für eine landesweite Präsenz, erklärten sie. Dass sie jetzt blaue statt grüne Helme tragen sollen, wird daran nichts ändern. Und weil bis zum 14. Oktober höchstens noch die versprochenen Soldaten aus Bangladesch eintreffen, bleibt der größte Teil Liberias unter ausschließlicher Kontrolle der verschiedenen bewaffneten Fraktionen, auch wenn diese gemeinsam in der Hauptstadt regieren – eine Situation, die an ähnlich instabile Friedensprozesse in der Elfenbeinküste und der Demokratischen Republik Kongo erinnert.

„Berichte über Gewalt in Dörfern außerhalb von Monrovia nehmen zu, seit Friedenstruppen in der Hauptstadt stationiert wurden“, kritisiert die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Die Lurd-Rebellen stehen weiterhin vor den Toren Monrovias, dessen Zentrum sie im Juli wochenlang belagert hatten. Ihr Führer, Sekou Conneh, zog letzte Woche aus seinem guineischen Exil in das neue Lurd-Hauptquartier Tubmanburg 60 Kilometer nördlich der Hauptstadt – in einem von Soldaten aus Guinea geschützten Autokonvoi. So sind neue Konflikte vorprogrammiert, zumal in mehreren Landesteilen noch gekämpft wird. Vor allem im Norden Liberias bilde sich „ein Muster von Instabilität“ heraus, kritisierte am 25. September der humanitäre UN-Koordinator für Liberia, Ross Mountain.

Die Lurd-Rebellen blieben auch dem ersten Treffen der Verifizierungskommission JMC am 17. September fern, in dem Friedenstruppen und Kriegsparteien gemeinsam den geltenden Waffenstillstand überwachen sollen. Geleitet von EU-Delegationsleiter Geoffrey Rudd beschloss das JMC lediglich, dass die Kriegsparteien jetzt mal die Stellungen ihrer Kampfeinheiten mitteilen sollten.

DOMINIC JOHNSON