Die Grenzen des Alltags verwischen

Er ist Hoffnungsträger einer jungen, dem Gegenständlichen verbundenen Künstlergeneration: Marc Brandenburg aus Berlin erweist sich im Oldenburger Kunstverein als Bleistift-Virtuose – und verwischt die herkömmliche Sicht der Dinge. Pop-Art als Pop-Noir: grell, fotografisch, schwarzweiß und riesig

Im Kunstunterricht hoben die Kunsterzieher immer mahnend den Zeigefinger, sobald man anfing, in einer Bleistiftzeichnung herumzuwischen. Zugegeben: Meist handelte es sich dabei wirklich um unbeholfene Versuche, effekthascherisch über die Schwächen des Werkes hinwegzutäuschen. Bei solchen Erzählungen huscht ein Lächeln über das Gesicht von Marc Brandenburg. Da hat einer offenbar ähnliche Erinnerungen an die Schulzeit.

Inzwischen hat sich der Berliner allerdings bis in internationale Galerien gewischt und zählt zu den Hoffnungsträgern einer jungen, dem Gegenständlichen verbundenen Künstlergeneration. Bei den Arbeiten, die im Oldenburger Kunstverein zu sehen sind, handelt es sich samt und sonders um Leihgaben.

Dass die Grafiken des Berliners für Furore sorgen, ist kaum verwunderlich. Technisch sind seine Umsetzungen fotografischer Vorlagen schlicht verblüffend. Erst bei näherer Betrachtung wird der zeichnerische Duktus offenbar.

Aus der Ferne verbinden sich die oft in mehrwöchiger Arbeit angelegten Graphitspuren zum Eindruck überdimensionaler Foto-Negative.

Die Wahl ungewöhnlicher Blickwinkel und das Spiel mit der Verzerrung heben die Momentaufnahmen aus Alltag, Natur und Medienwelt deutlich vom bloßen Realismus ab. Begünstigt durch die Umkehrung der Schwarzweiß-Kontraste verflüchtigen sich Parkanlagen ins Ornamentale, zeigen Ikonen der Medienwelt ihr alter ego: Die Teletubbies entpuppen sich endgültig als jene seelenlosen Nachtmahre, die sie in unseren Alpträumen immer schon waren.

Brandenburg fordert dem Betrachter ab, sein ganz eigenes Bild der Wirklichkeit anhand seiner Kunst zu rekonstruieren.

Die Zusammenhänge, die sich dabei zwischen einzelnen Motiven ergeben und den Eindruck einer bewusst gewählten, am Erzählerischen orientierten Reihenfolge erwecken, verdanken sich vor allem individuellen Assoziationsketten.

Da hebt sich die Zeichnung eines Jahrmarktkarussells mit Mickey Mouse von der schwarz getünchten Wand des Oldenburger Kunstvereins ab, flankiert von einem posenden Body-Builder in Damenbegleitung. Schaustellerunternehmen und Zur-Schau-Steller, dicht an dicht – wie andernorts ein lachender Clown und ein weinender Mann, ein AKW und eine Impression aus dem Berliner Tiergarten. Verknüpfungen lassen sich in Hülle und Fülle finden. Den absoluten Schlüssel zu einer Aussage wird man allerdings vergeblich suchen.

Marc Brandenburg feiert nicht die unberührte Unschuld der Natur, um sie dann moralisierend von der bösen Zivilisation überrollen zu lassen. Er fängt seine Bilder nicht ein, um auf soziales Elend aufmerksam zu machen. Er ist ein Chronist seiner Umwelt, dessen Bleistift Eindrücke einfängt und vom Dokumentarischen ins Künstlerische transferiert.

Das Ergebnis ist ein Kaleidoskop ausdrucksstarker Film-Stills. Pop Noir. Nicht allein, weil Brandenburgs Arbeiten auf Glamour und jegliche Farbe verzichten. Auch deshalb, weil seine Sichtweise – etwa der Extrem-Close-Up einer Zahnspange – Alltägliches fremd werden lässt. Weil er bekannte Räume ins Vage und Ungewisse überführt, wenn auch mit anderen Mitteln, als dies der Film Noir mit seinen ungewöhnlichen Kamerawinkeln tat.

Von der Beleuchtung mit Schwarzlicht, die die optische Irritation in anderen Ausstellungen Brandenburgs auf die Spitze trieb, hat man in Oldenburg Abstand genommen. Stattdessen prangen an den Scheiben des Lichthofs Transparent-Kleber mit Arbeiten des Künstlers: eine eigens zur Ausstellung erschienene Edition.

Dort, wie in den schwarz und weiß gehaltenen Wänden des Ausstellungsraumes finden die präsentierten Motive einen adäquaten Rahmen, der es dem Besucher ermöglicht, in die diffuse Bilderwelt von Marc Brandenburg einzutauchen. Er ist ein Meister darin, die scheinbar so klar gezogenen Grenzen der alltäglichen Weltsicht ein ums andere Mal zu verwischen.

Christoph Kutzer

bis 24.10., Oldenburger Kunstverein, Damm 2a, dienstags bis freitags 14 bis 17 Uhr, samstags und sonntags 11 bis 17 Uhr, www.kunstverein-oldenburg.de