christoph schultheis
: Ohne kollektives „Aaah“ und „Oooh“

Beim Ende der Geiselnahme in Beslan zeigten sich Fernsehen und Zuschauer am Rande ihrer Möglichkeiten – und waren damit ausreichend beschäftigt

An einem schönen Sommertag, wenn die Balkontüren sperrangelweit geöffnet und die Fernsehempfangsgeräte eingeschaltet sind, weil irgendwoher ein Fußballländerspiel übertragen wird, dann wogen manchmal so Wellen der Erleichterung über Stadt und Land. Oder ein kollektiver Seufzer der Enttäuschung. Dann, nach den Aaahs und Ooohs, wird’s wieder still: Ein Auto fährt vorbei. Wer möchte, holt sich jetzt ein neues Bier.

Letzten Freitag war ebenfalls ein schöner Sommertag, und wer zur rechten Zeit ein TV-Gerät einschaltete, war wieder live dabei. In Beslan allerdings. Beim blutigen Ende einer Geiselnahme, für dessen Übertragung zahlreiche Sender spontan ihren Programmablauf geändert hatten. Man sah zwar nichts bzw. nicht, wie dort tatsächlich Menschen starben und gestorben waren (jedenfalls nicht in Deutschland), sondern nur, wie andere im Kugelhagel überlebten. Im Grunde sah man allerhand verwackeltes Filmmaterial aus einer russischen Provinzstadt, das von den Sendern immer wieder neu hintereinander gereiht worden war.

Vor allem aber sah man dies: das Senderlogo in der Bildschirmecke, je nach Sender mal mit und mal ohne Uhrzeit, am unteren Bildrand einen roten Streifen, auf dem in knappen Sätzen aufgeschrieben stand, was bisher geschah. Man sah: Die meisten Sender hatten das Wort „Live“ eingeblendet und weitere neue Schlagzeilen. Und dann war da auch noch der Ton: Schusswechsel, Detonationsgeräusche, O-Töne von Experten, von Vor-Ort-Reportern, Moderatorenmonologe. Gelegentlich wurden sogar in mehreren, unterschiedlich großen Fenstern verschiedene Szenen gleichzeitig gezeigt. Wer dann noch mit der Fernbedienung in der Hand von Sondersendung zu Sondersendung zappte, war … beschäftigt.

Das alles war nicht ungewöhnlich und (was noch bedenkenswerter ist) nicht einmal ungewohnt. Denn letztlich sah man am Freitagmittag dies: Fernsehen und Zuschauer am Rande ihrer Möglichkeiten – und darin, wenn wir ehrlich sind, erstaunlich souverän.

Ohne den ganzen Infofirlefanz jedenfalls wäre das, was dort in der russischen Provinz geschah, womöglich unerträglich. Es wäre (zwischen den Schuss- und Detonationsgeräuschen) unerträglich still. Vor der Balkontür führe dann ein Auto vorbei, möglicherweise läge sogar noch ein Bier im Kühlschrank. Man weiß es nicht. Man wüsste vielleicht nicht einmal, wozu das Hingucken und Übertragen überhaupt gut sein soll, so ohne kollektives Aaah und Oooh – und grübelte deshalb lieber, warum N 24 wohl von Zeit zu Zeit das „Live“-Logo in der Bildschirmecke gegen das Wort „Direkt“ vertauschte.