Hinstellen und lächeln

Zum Petersdom wegen Michelangelo Buonarotti, dem Größten

Zur Internationalen Tourismusbörse in Berlin – noch bis morgen in den Messehallen – wird Reisefieber erzeugt. Ägypten und Zypern, Ruanda und Borneo präsentieren sich genauso wie Nordrhein-Westfalen. Massenhaft und weltweit wird geworben, verführt, betört und geschönt. Willkommen im globalen Dorf! Um im Dschungel der überbordenden Angebote und Destinationen etwas Bodenhaftung zu geben, stellen unsere reiseerfahrenen Autoren ihre Geheimtipps vor, die längst keine mehr sind, aber für unsere Autoren oder andere Besucher noch immer hohen Gebrauchs- oder Mehrwert haben.

Allein Rom ist ein Geheimtipp. Da fährst du andauernd nach Italien, entdeckst die abgelegensten Ecken des Landes, den Cilento oder ein piemontesisches Tal, fährst an den Gardasee und den Bolsena-See, nach Florenz, Pisa und Lecco – und vergisst all die Jahre, mal wieder in Rom vorbeizuschauen. Und dann stehst du da, auf der Piazza Navona, vor dem Kolosseum, am Trevibrunnen und auf der Spanischen Treppe, und schlägst dir an die Stirn und sagst dir: Wie konnte ich nur so blöd sein und auf der Suche nach Geheimtipps in Italien Rom, die Ewige Stadt, auslassen. Und obendrein stellst du fest, dass du hier nicht so sehr Tourist bist wie in Sienaflorenzvenedig. In Rom wohnen gut zweieinhalb Millionen Italiener. Da kommt es auf ein paar tausend Fremde am Tag nicht an. Die schwimmen mit im Strom der Großstadt.

Nun gut, und wenn du schon da bist, dann gehst du zum Vatikan, nicht wegen Papst Benedikt dem Sechzehnten, sondern wegen Michelangelo Buonarotti, dem Größten. Zum Petersdom. 1547 setzte Michelangelo auf diesen seine Kuppel. Als Kind warst du mal oben. Die Aussicht über die Stadt war dir eher egal, aber aufregend war das schon, in der doppelwandigen Schale der Kuppel immer höher zu steigen, schließlich hinunterzuschauen, in den Innenraum der Kirche, wie klein die Menschen dort unten auf dem Marmormosaik auf einmal wirkten.

Also auf zum Petersplatz. Ach, und da stehst du dann wieder, auf dem schönsten Platz der Welt. Es treibt dir die Tränen in die Augen, wenn du nicht aus Stein bist wie die 284 Säulen der Kolonnaden. Vier Reihen von Säulen, die schönste Staatsgrenze der Welt, zwischen Vatikanstadt und Italien. Gian Lorenzo Bernini gestaltete den ellipsenförmigen Platz in der Hochzeit des Barock. Was Bernini mit den Säulen beabsichtigte, funktioniert in Vollendung. Sie umarmen den Platz – und den Besucher. Da die Peterskirche die Mutter aller Kirchen sei, soll der Portikus, so Bernini, „mit offenen Armen mütterlich die Katholiken empfangen, um sie in ihrem Glauben zu bestärken, die Häretiker zur Kirche zurückführen und die Ungläubigen im wahren Glauben erleuchten“. 23.000 Quadratmeter für eine Umarmung!

Die Kolonnaden sind symmetrisch zu zwei Brennpunkten. Das klingt abstrakt, ist aber vor Ort faszinierend. Man stellt sich auf eine der beiden Bodenplatten mit der Inschrift „Centro del Collone“. Okay, man muss ein bisschen warten, bis die Japaner, die dort lächelnd stehen, sich fotografiert haben. Und dann stellt man sich auf die Stelle und schaut zu der Säulenreihe: Und nun sieht es aus, als würde die Kolonnade nur aus einer Säulenreihe bestehen und nicht aus vier hintereinander. Unverständlich? Hinfahren, hinstellen, lächeln.

Einmal spaziere ich nachts über die Piazza San Pietro. Anwohner gehen über den nun leeren, in warmem Gelb ausgeleuchteten Platz nach Hause, als sei es nur irgendein Platz in der Nachbarschaft, und für Römer ist er das auch. Zwei junge Carabinieri patrouillieren lässig. Mit müden Beinen nach einem Tag in der Stadt schleppe ich mich über Berninis Meisterwerk – und knicke um. Die Polizisten eilen herbei. Signora, alles in Ordnung? Ich humple weiter, mich umarmt die vierfache Kolonnade des Petersplatzes. Ja, danke. Alles bestens.

BARBARA SCHAEFER