Vom Traum zur Hybris

Eine Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte träumt den „Traum von der Stadt am Meer“, eine begleitende Filmreihe im Metropolis deutet ihn. Den Auftakt machen morgen Filme zum unverwirklichten „Atlantropa Projekt“ des Architekten Hermann Sörgel

von JAKOB HESLER

Hamburg liegt zwar nicht am Meer, aber fast. Deshalb träumt die Hansestadt mit ihrem Hafencity-Projekt eifrig den „Traum von der Stadt am Meer“, zu dem eine gleichnamige Ausstellung jetzt Anschauungsmaterial liefert. Ergänzt wird sie von einer Filmreihe, deren Eröffnungsabend ozeanischen Schwärmereien jedoch einen Dämpfer versetzen dürfte. Denn er ist einer Idee gewidmet, deren Größenwahn sich eher wie ein Albtraum vom Meer ausnimmt: dem Atlantropa-Projekt.

Der Architekt Hermann Sörgel hatte seit den 20er Jahren den Plan, das Mittelmeer mit Staudämmen abzuriegeln und seinen Wasserspiegel um 220 Meter zu senken. Das so gewonnene Land von der Fläche Frankreichs sollte den „Bevölkerungsüberschuss“ Europas aufnehmen und ernähren. An den Dämmen sollten Wasserkraftwerke Strom erzeugen, Nordafrika sollte bewässert und in ein fruchtbares Paradies vewandelt werden. Das Projekt vereint den modernen Ingenieursgeist totaler Machbarkeit mit kolonialer Ideologie und der Obsession vom „Volk ohne Raum“. Die Pläne animierten namhafte Architekten zu Entwürfen für die neuen Häfen, Städte und Anlagen, so etwa Peter Behrens, Bauhaus-Ahn und AEG-Designer. Bei den Nazis fand Sörgel trotz intensiven Werbens wenig Gehör, hatten sie doch eher eine „Besiedelung“ des Ostens als des Südens im Sinn.

Dokument dieser Ablehnung ist Ein Meer versinkt (Anton Kutter, 1936). In diesem Doku-Drama konferiert eine fiktive Runde, die „Wirtschaftsunion“ der Anrainerstaaten, über das Projekt. Der Vorsitzende preist die Vorteile. Doch ein Geologe entgegnet: Das Neuland wäre unfruchtbar, weil versalzen; durch die Wasserverschiebung käme der Golfstrom aus dem Tritt und damit das gesamte Weltklima. Einwände, wie sie heutige Umweltschützer nicht effektiver vorbringen könnten.

Aber das rhetorische Gewicht des Films liegt auf einem anderen Argument: Terroristen könnten die Staudämme sprengen. Diese Katastrophe malt Regisseur Kutter wollüstig in Zeitlupen-Tricktechnik aus. Dahinter steht die Überzeugung, die Proto-EU der Anrainer sei zur Verwaltung der Anlage nicht fähig: Nazi-typische Verachtung des Mediterranen, der Zivilisation überhaupt. Ökologisch ließe sich Kutters Kritik dennoch auf Hafencity und das drum herum gestrickte Konzept „Wachsende Stadt“ übertragen. Etwa auf den unausgegorenen Plan, das Vogelrefugium auf der Elbinsel Kaltehofe solle ominöser Gewerbebebauung weichen.

Jedenfalls zeigt Kutter, dass der Traum vom Meer als der Traum seiner Beherrschung menschliche Hybris ist. Das wusste schon Goethe, dessen greiser Faust ja als verblendeter Deichbauer endet. Das weiß auch Joris Ivens, dessen Doku Neue Erde über die Eindeichung der Zuydersee in Holland den Abend neben einem weiteren Atlantropa-Film abrundet. Zu Eislers Musik wird der heroische Kampf mit dem Meer geschildert, ein archetypischer Kampf von Kultur und Natur. Nicht von ungefähr hat Freud die Psychoanalyse als „Kulturarbeit etwa wie die Trockenlegung der Zuydersee“ bezeichnet. Die Kulturarbeit erweist sich bei Ivens jedoch als sinnlos: All das schöne Getreide aus der Neuland-Ernte wird von Spekulanten vernichtet, denn auf dem Weltmarkt herrscht jetzt Überangebot. Mal sehen, wie viele der Hafencity-Büroetagen leer stehen werden.

Bürsten die Filme das Thema gegen den Strich, so ist die Ausstellung harmlos bis wirr. Zum „Mythos Meer“ sagt sie nur Banales. Interessanter die Entwürfe Le Corbusiers, etwa eine Wohnstadt für Marseille: Grindelhochhäuser mit Meerblick. Daneben Atlantropa-Modelle und kühne Meer-Utopien der 60er. Da können die ausgestellten Hafen-Masterpläne der Jetztzeit aus Rotterdam, Barcelona oder eben Hamburg nicht mithalten. Offen bleibt, ob deren utopistische Vorgeschichte als kritischer Index gezeigt wird oder nicht doch eher als Marketing-Dekor, das die zu erwartende Investorenarchitektur der Hafencity mit maritimer Poesie aufpeppen soll.

Filme: morgen, 19 Uhr, Metropolis (Einführung: Olaf Bartels); Ausstellung: Di–Sa, 10–17 Uhr, So, 10–18 Uhr, Museum für Hamburgische Geschichte; bis 1.2.04