„Frei gewählte Zwangssolidarität“

Wohnungsbau- und Mietergenossenschaften sind seit über hundert Jahren beliebt. Klein, aber fein: die „Selbstbau“-Genossenschaft in Berlin. Die Mieter schuften bei der Sanierung mit und zahlen pro Qadratmeter nur gut 3 Euro

BERLIN taz ■ Aufsichtsratsvorsitzender. Das klingt lukrativ. Ist es aber nicht. „Aus finananziellen Gründen mach ich das nicht“, lacht Andreas Lob-Hüdepohl. Der Mann ist Rektor der Katholischen Fachhochschule Berlin und sitzt in seiner Freizeit als Mietervertreter im Aufsichtsrat einer kleinen, aber feinen Mietergenossenschaft. Die „Selbstbau e. G. “ hat in den Berliner Stadtteilen Prenzlauer Berg und Friedrichshain inzwischen 13 Häuser übernommen – mit aktiver Beteiligung der MieterInnen.

Rund 2.000 Wohnungsbaugenossenschaften mit etwa 2,3 Millionen Wohnungen gibt es im Bundesgebiet. Viele existieren schon über 100 Jahre, manche haben auch die DDR überstanden. Die „Selbstbau“ allerdings ist ein echtes Kind der Wende.

1988 sollten die heruntergekommenden Gründerzeithäuser rund um den Wasserturm des Prenzlberges neuen Plattenbauten weichen. Einige AnwohnerInnen fanden das nicht so schnorke und gründeten eine Bürgerinitiative, die einen alternativen Bebauungsplan entwarf. Mit der Wendezeit wurde vorher Undenkbares möglich: Die BewohnerInnen der Rykestraße 13/ 14 nahmen die Sanierung selbst in die Hand und gründeten eine Mietergenossenschaft.

Gefördert wurde das Projekt durch ein Programm des Berliner Senats, der „Baulichen Selbsthilfe“. Man könnte es auch „selber schuften“ nennen: 15 bis 20 Prozent der Sanierungsmaßnahmen werden durch Eigenleistungen der BewohnerInnen erbracht. 10 bis 20 Wochenstunden über ein bis drei Jahre hinweg – besonders für Berufstätige nicht gerade stressfrei. Dafür aber zahlen sie eine Nettokaltmiete von nur 3 bis 3,50 Euro, haben Dauermietrecht und können Haus und Wohnung nach eigenen Wünschen gestalten.

Die Rykestraße ist in ökologischer und sozialer Hinsicht ein Vorzeigeprojekt: mit ausgebautem Dachgeschoss hinter historischer Fassade, begrüntem Hof, Spielplatz, Hauswerkstatt, Kneipe, Läden und Genossenschaftsbüro. In Letzterem arbeiten „Selbstbau“-Geschäftsführer Pit Weber, zwei Teilzeit-Vorständler, zwei Hausverwalter und eine Buchhalterin. Ein Blockheizkraftwerk liefert Energie, auf dem Dach wuchert Grünzeug.

Kein Wunder: Auch andere im Kiez wollen so wohnen. Auf Drängen der MieterInnen übernahm „Selbstbau“ deshalb immer mehr Häuser. Wer Genossenschaftsmitglied werden wollte, zahlte 500 Euro ein und verpflichtete sich zu Marke Eigenbau. Hausversammlungen konstituierten sich, formulierten ihre Wünsche und schickten ihre VertreterInnen in den Aufsichtsrat – eine Person pro Haus.

Auf diese Weise sind inzwischen zwölf Häuser saniert worden. Doch nun ist in Pleite-Berlin das Förderprogramm ausgelaufen, Gelder sollen nur noch in begründeten Einzelfällen fließen. Ob der Verein „Lebenswelten“ eine solche Förderung erhält, wenn er wie geplant von „Selbstbau“ sanierte Wohnungen für psychisch Kranke zur Verfügung stellt, ist noch nicht entschieden.

Selbstbau – ein prima Projekt? „Unterm Strich auf jeden Fall“, findet Andreas Lob-Hüdepohl. Natürlich gelinge das Genossenschaftliche in manchen Häusern mehr, in anderen weniger. Auf jeden Fall sei es ein „Gegenentwurf zur dominanten Form von Eigentumsbildung“, geprägt durch eine „frei gewählte Zwangssolidarität“. Und da lacht er wieder, der Herr Aufsichtsratvorsitzende. UTE SCHEUB