Böses blaues Blut

Eine monegassische Prinzessin klagte in Straßburg, heute tagt dazu das Bundeskabinett. Denn deutsche Verleger fürchten um die Pressefreiheit

VON CHRISTIAN RATH

Die deutschen Zeitschriftenverleger sehen die Pressefreiheit in Gefahr, weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Juni die Privatsphäre der Adligen besser vor lästigen Fotografen geschützt hat. In einem dramatischen Appell forderten am Wochenende Chefredakteure: „Herr Bundeskanzler, stoppen Sie die Zensur“ (siehe taz vom Montag). Heute berät das Bundeskabinett über das weitere Vorgehen.

In der Sache hat der EGMR nur über belanglose Bilder aus dem Alltagsleben von Caroline entschieden, an denen „kein legitimes Interesse der Öffentlichkeit“ bestünde. Sie dürften deshalb nicht verbreitet werden. Die pressefreundliche Rechtsprechung in Deutschland verstoße gegen das in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgte Recht auf Privatleben.

Gegen diese von einer kleinen Kammer mit sieben Richtern gefällte Entscheidung kann Deutschland noch die große Kammer mit siebzehn Richtern anrufen. Die Verleger und ihre Chefredakteure fordern nun, dass die Bundesregierung dieses Rechtsmittel einlegen soll. Spätestens bis zum 24. September muss die Berufung samt Begründung in Straßburg eingegangen sein. Die Zeit wird also knapp. Deshalb der aufgeregte Ton. Bisher durften Prominente in der Öffentlichkeit hierzulande auch ohne ihr Einverständnis fotografiert werden.

Mit zwei Ausnahmen. Ausnahme 1: Auch in der Öffentlichkeit könne es „Orte der Abgeschiedenheit“ geben, wo Prominente nicht fotografiert werden dürfen – etwa beim Rendezvous in einem Restaurant. Ausnahme 2: Es sind keine Fotos möglich, wenn der Prominente von seinen Kindern begleitet wird.

Ansonsten wertete das Verfassungsgericht die Pressefreiheit höher als das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen, denn der Blick auf das Alltagsleben der Promis böte vielen Menschen auch „Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen“.

Von Justizministerin Zypries wird angenommen, dass sie in Straßburg gerne die alte deutsche Rechtslage verteidigen würde. Dagegen soll Kanzler Schröder mit dem Urteil durchaus zufrieden sein. Er und seine Frau, so heißt es, hätten sich jüngst sehr geärgert, dass ein Urlaubsfoto mit Tochter Klara und dem neuen Adoptivtöchterchen in deutschen Zeitungen veröffentlicht worden war. Inzwischen verlangt eine Anwaltskanzlei im Namen der Kinder den Verzicht auf die Verbreitung des Fotos.

Wichtig ist das Caroline-Urteil vor allem für Boulevardzeitungen und Frauenzeitschriften. Ohne private Schnappschüsse von bekannten Adligen und anderen Promis befürchten sie Umsatzeinbußen. Außerdem könnten die Promis die Vermarktung ihres Privatlebens besser kontrollieren. Private Fotos dürften dann nur noch genehme Medien gegen Zahlung hoher Summen schießen. Das wäre Hofberichterstattung im wahrsten Sinne des Wortes.

Dagegen steht nicht zu befürchten, dass künftig keine privaten Skandale von Politikern und anderen Prominenten mehr aufgedeckt werden dürfen. Auch nach dem Straßburger Urteil, das sich ohnehin explizit nur auf Fotos und nicht auf Wortberichterstattung bezieht, wären weiterhin Berichte über den von einer Bank gesponserten privaten Aufenthalt des damaligen Bundesbank-Chefs Ernst Welteke im Berliner Nobelhotel Adlon möglich.

In der Liste der von den besorgten Chefredakteuren aufgezählten künftig unzulässigen Themen findet sich nur ein Zweifelsfall: das ungebührliche Pinkeln von Prinz Ernst-August an den türkischen Expo-Pavillon. Ob an einem derartigen Foto das Wohl und Wehe der Pressefreiheit hängt?