Das Mikrofon in ihrem Kopf

„Worum es geht, weiß ich nicht“: Simona Sabatos Vortrag eines Romananfangs hat in Klagenfurt für Kontroversen gesorgt und ihr dennoch den Ernst-Willner-Preis beschert. Ein ganz normales Treffen

VON SANDRA LÖHR

In ihrem Text, den sie in Klagenfurt las, geht es um eine Ich-Erzählerin, die ihre Freundin vom Zug abholt, sich eine Wohnung ansieht, mit ihrer Schwester kurz vor Weihnachten zur Mutter fährt, ihrem Vater Geld für eine Mietkaution leiht, ab und zu ihre Wohnung putzt und für eine private Theatervorstellung probt, bei der sie schließlich mit ihren Mülltüten erscheint. So weit der Plot des Romananfangs.

Aber natürlich geht es in Wirklichkeit nicht um den Alltag dieser Frau, sondern um etwas ganz anderes. Es geht darum, wie das alles erzählt wird. Beim Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt las sie nur den Anfang ihres Romans und sorgte damit für die heftigste Diskussion der ganzen Veranstaltung. Jurorin Iris Radisch bezeichnete ihren Text als „total gaga“ und als „ganz große Verarschung“. Was sie aber später nicht daran hinderte, Simona Sabato ihre Stimme für den Preis zu geben. Doch darüber will Simona Sabato nicht reden. Sie zuckt nur mit den Achseln und sagt: „Jeder, der den Text hört, nimmt ihn ja anders wahr als man selbst.“

Man könnte sagen, dass es in Simona Sabatos Geschichte um die Wahrnehmung von Realität geht und darum, wie diese der Ich-Erzählerin langsam abhanden kommt. Immer wieder spült unter der alltäglichen Oberfläche eine verzerrte Weltwahrnehmung nach oben, bricht sich an der Normalität, spielt mit ihr. Und das so en passant und beiläufig, dass man aufpassen muss, manche dieser Grenzverwischungen nicht einfach zu überlesen. Zum Beispiel die Sache mit Frau Ehlert: „Frau Ehlert ist neunzehn Jahre alt und sieht auch sehr müde aus. Ich möchte sie fragen, wo ihre Eltern sind, zügle mich aber, es reicht, dass ich vorschlage, dass heute Freitag ist. Ich sehe meine Schwester an, weil Montag ist, und die anderen das wissen.“

Es ist weder Montag noch Freitag sondern Mittwoch, und Simona Sabato sitzt schon am Tisch im verabredeten Café. Dunkle Haare, eine schwarze Hornbrille, schmale Schultern. Sie, die beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt den Ernst-Willner-Preis gewonnen hat, sieht zwischen den anderen Gästen des Cafés an diesem Sommernachmittag so auffällig unauffällig aus wie jemand, der eben lieber andere Menschen beobachtet, als selbst im Mittelpunkt zu stehen. Zur Begrüßung lächelt sie und schüttelt einem die Hand, und gleich am Anfang des Gesprächs sagt sie: „Ich bin sehr unergiebig, aber macht nix, ich geb mir Mühe.“

Wenn es also ein Wort gibt, dass einem zuerst zu Simona Sabato einfällt, dann ist es „Understatement“. Ein Understatement, das aus einem abgeklärten Selbstverständnis zu kommen scheint. So in der Art: Ich schreibe, weil es mir Spaß macht, und es gibt Leute, die das gut finden. Punkt. Und irgendwie nimmt man ihr tatsächlich ab, dass sie Sätze wie „Ich bin unergiebig“ nicht aus Koketterie sagt, sondern es wirklich so meint. Wie kommt eine wie diese dazu, derart verrückte Texte zu schreiben?

Simona Sabato wurde vor fast vierzig Jahren in Tiergarten geboren, ist in Charlottenburg und Schöneberg aufgewachsen und dann schließlich nach Kreuzberg gezogen. Irgendwann hat sie angefangen, als Kamerafrau zu arbeiten, viel fürs Fernsehen gedreht, mit einem Freund eine Firma gegründet, und als die Pleite ging, angefangen ein paar Kurzgeschichten und Drehbücher zu schreiben, weil sie dachte, dass das erst mal leichter sein könnte. „War’s dann aber nicht.“ Stattdessen schrieb sie Theaterstücke – drei davon, „super lucky dog“, „Gotland“ und „Nicht in den Mund“, sind bislang beim Suhrkamp Verlag erschienen sind, Letzteres wurde am Thalia Theater inszeniert. Jetzt, wo sie in Klagenfurt gelesen hat, könnte es sein, dass man sie zukünftig nur noch als Schriftstellerin wahrnehmen wird. „Ich habe niemals den Wunsch gehabt, Schriftstellerin zu werden oder so was“, sagt sie dazu nur und lacht. Als wäre es vollkommen natürlich, beim angesehensten deutschen Literatur-Nachwuchs-Wettbewerb mal eben einen Preis abzubekommen.

Vielleicht sind es genau diese Leichtigkeit und der Entschluss, sich nicht verrückt machen zu lassen, mit denen man Texte schreiben und aushalten kann wie die von Simona Sabato, diese rhythmisch komponierten und nicht abreißenden Flüsse aus Gedanken, Alltagsbeobachtungen, Monologen und gesprochener Sprache, die sich manchmal lesen, als hätte jemand ein Aufnahmegerät direkt in den Kopf eines psychisch Kranken gehalten, der sich verzweifelt an Alltagsritualen und Sprachfloskeln festhält, während das Irrationale sich immer weiter in sein Denken frisst. Also handeln ihre Geschichten davon, wo die Realität anfängt und wo sie aufhört, oder ob es sie überhaupt gibt? „Worum es eigentlich geht, weiß ich nicht“, antwortet sie. „Das erforsche ich beim Schreiben.“

Ganz unpassend ist er wohl nicht, der Vergleich mit einem Aufnahmegerät: Zu ihrer Arbeitsweise befragt, sagt Simona Sabato, dass sie eher schnell schreibt, sich von nichts anderem als von dem Sprachfluss im Kopf leiten lässt. Erst danach, nach diesem ersten Entwurf, geht es ans Feilen am Text. Eine Arbeit, die oft länger als das erste Schreiben dauert und die ihr sehr viel Spaß macht.

Soll das heißen, dass sie nie Schreibkrisen, keine Blockaden kennt? Da lacht sie plötzlich laut auf: „Ich könnte das ja jetzt einfach so sagen, aber dann würden sich viele, die mich kennen, kaputtlachen, wenn die das so lesen. Klar, so ein bisschen Zweifel, die habe ich manchmal schon.“