Wo Íwan wieder Iwán heißt

Erfreuliche Nachrichten von der Lichtspielfront: Das neue Kino Krokodil zeigt ausschließlich russische Filme. Ein Glücksfall für Avantgardisten und Freunde der Utopie

„Ditt jibs in keem Russenfilm …“ war im Osten ein gängiger Kommentar für alles, was einem im Leben absurd vorkam. Das sowjetische Kino gehörte mit seiner eigenartigen Stilistik zum Bildungskanon, den die Mehrheit gerne schwänzte. Eher auf Amerika fixiert, ging man lieber immer wieder in „Beat Street“ als in den letzten russischen Kriegsfilm. Erst mit Gorbatschow wurde der sowjetische Film plötzlich heiße Ware, bis hin zu einem jener Vorfälle, die das Ende der DDR vorwegnahmen. Ende der Achtziger, beim bis dahin nicht unbedingt populären Festival des sowjetischen Films, durften Werke, die den Stalinismus thematisierten, nicht gezeigt werden. Man traf sich dann zu klandestinen Videovorführungen von Filmen wie „Die Reue“ und „Die Kommissarin“.

Seit kurzem gibt es in Prenzlauer Berg einen Ort, an dem man sich mit weniger Aufwand ein Bild von der russischen Wirklichkeit verschaffen kann, denn im ehemaligen Kino „Nord“ hat das „Krokodil“ aufgemacht, ein Kino nur für russischen Film. Die Einrichtung hat komplett gewechselt und doch fühlt man sich sofort zu Hause auf den alten Drehsesseln, zwischen großformatigen Fotografien osteuropäischer Kinotheater. Im Foyer hängt der Namensgeber des Kinos, das Krokodil eines russischen Künstlers, das einen an das berühmte russische Kinderlied erinnert, in dem ein Krokodil seinen Geburtstag allein feiern muss, weil niemand daran gedacht hat.

Dass die Sowjetunion eine reiche Filmtradition hatte und immer wieder Filme produzierte, die, stärker als im Westen üblich, die Ansprüche der europäischen Avantgarden umsetzten, kann man heute endlich objektiv würdigen. „Die Rückkehr“, ein zeitloses Meisterwerk, das 2003 in Venedig den Goldenen Löwen gewann, hat dem „Krokodil“ zu seinem bisherigen Besucherrekord verholfen. Selbst die synchronisierte Fassung von Klassikern wie Schukschins „Kalina Krassnaja“ bietet schöne Effekte, weil die bildhafte russische Diminutivsprache in ein reizvolles deutsches Kunstidiom übertragen wurde. Und da die meisten Übersetzungen aus der DDR stammen, wo man die Namen korrekt aussprach, heißt der Held im Märchenfilm wieder Iwán und nicht Íwan.

Es ist bemerkenswert, dass manche Filme heute, wo das System, das sie wahrscheinlich nie ganz ehrlich dargestellt haben, nicht mehr zur Debatte steht, eine utopische Dimension entfalten. Ein Film wie „100 Tage nach der Kindheit“, in dem sowjetische Jugendliche im Sommerferienlager Liebe und Weltschmerz entdecken und sich dabei so gesittet verhalten wie Außerirdische, lässt einen in Zeiten des drohenden Generationenkriegs von einer zur Höflichkeit erzogenen Jugend träumen.

Die Idee zu einem rein russischen Kino hatte Gabriel Hageni. Der Tarkowski-Fan hatte zu Beginn nur eine vage Vorstellung davon, wie schwierig es ist, mit seinen Ansprüchen ein Kino zu führen. Inzwischen ist es ein Full-Time-Job, die Rechteinhaber ausfindig zu machen und die Kopien durch den russischen Zoll zu bringen. Seinem Einsatz ist es zu danken, dass es in Berlin jetzt einen Ort gibt, der wie geschaffen dafür ist, sich über einen Geburtstag hinwegzutrösten, an dem niemand an einen gedacht hat. JOCHEN SCHMIDT

Kino Krokodil, Greifenhagener Straße 32, Prenzlauer Berg