„Aristide hat undemokratisch regiert“

Haitis Interimsregierungschef Gérard Latortue über seinen Vorgänger Jean-Bertrand Aristide, Konflikte mit ehemaligen Militärs, den Kampf gegen die Korruption und die Entwicklungsperspektiven des ärmsten Landes Lateinamerikas

INTERVIEWHANS-ULRICH DILLMANN

taz: Seit knapp fünf Monaten sind Sie im Amt. Die öffentliche Ordnung wird von einer internationalen UN-Blauhelmtruppe gesichert, aber in großen Teilen des Landes herrschen jene Rebellen, die den ehemaligen Staatspräsidenten Jean-Bertrand Aristide vertrieben haben. Sind Sie überhaupt der Regierungschef von Haiti?

Gérard Latortue: Ich bin der Regierungschef Haitis. Wir haben in einigen Regionen des Landes ein paar Probleme mit ehemaligen Militärs. Aber das heißt nicht, dass wir das Land nicht unter Kontrolle hätten.

Die Exmilitärs haben jetzt ihren Sold eingefordert und Ihnen gedroht, bei Nichtzahlung gegen Sie zu rebellieren wie gegen Aristide. Sie haben das Ultimatum verstreichen lassen. Ignorieren Sie die Forderung?

Es ist absurd, für die letzten zehn Jahre die Nachzahlung des Solds zu fordern. Für welche Leistung? Es wird eine politische Lösung des Problems geben müssen, aber keine Nachzahlungen. Das kann doch keiner ernst nehmen. Aber wir werden mit den Exmilitärs über ihre gesellschaftliche und wirtschaftliche Wiedereingliederung sprechen. Wir wollen ihnen eine Chance geben, Arbeit zu finden und Teil der Nation zu werden. Wir erkennen an, dass die Demobilisierung durch Aristide verfassungswidrig war. Aber es wird nicht die Aufgabe der Interimsregierung sein, die Armee wieder einzuführen. Wir werden sehr genau prüfen, ob und in welcher Form Haiti überhaupt eine Armee braucht.

Sie haben die Mitglieder der Rebellenarmee als Freiheitskämpfer bezeichnet. Amnesty international wirft diesen schwere Menschenrechtsverletzungen vor.

Ich habe davon gesprochen, dass diese für die Befreiung Haitis von Aristide gekämpft haben. Das ist wahr und ich wiederhole es. Amnesty international hat ihre Ansicht. Ich habe meine Meinung. Vielleicht sind einige, die für die Befreiung des Landes von der Tyrannei gekämpft haben, möglicherweise Menschenrechtsverletzer gewesen. Wenn das stimmt, dann werden wir diese identifizieren. Und ich hoffe, dass uns amnesty international dabei hilft. Sie werden vor Gericht gestellt und es wird Gerechtigkeit ausgeübt werden. Aber vor allem scheint es mir wichtig, dass die internationale Gemeinschaft kapiert, was in Haiti passiert ist. Manche reagieren so, als ob Aristide ein demokratischer Präsident gewesen sei. Vielleicht ist er demokratisch gewählt worden, aber er hat das Land undemokratisch regiert. Die gesamte Bevölkerung hat gegen Aristide rebelliert.

Nach wie vor beklagen Investoren und ausländische Beobachter fehlende Institutionalität, Korruption, Investitionsunsicherheiten. Was machen Sie dagegen?

Jeder Investor, der Opfer von Korruption wird, soll mir den Fall melden. Ich werde für Sanktionen sorgen. Aber Sicherheit wird nicht über Nacht kommen, sondern mit der Entwicklung des Landes. Ich hoffe, dass die Vereinten Nationen dies verstehen und in ihren Einsatz über das bisher im Rahmen der Friedensmission geleistete Niveau hinausgehen.

1,4 Milliarden US-Dollar wird Haiti bekommen. Was wird mit diesem Geld geschehen?

Das Geld wird zuerst einmal für die Schaffung einer Infrastruktur verwendet. Straßenbau, Elektrizität und Wasserversorgung sind die Basiselemente für eine Entwicklung des Landes. Wenn wir dies geschafft haben, werden auch die Haitianer aus dem Ausland zurückkommen und mittlere und Kleinbetriebe gründen. Das schafft Arbeitsplätze, öffentliche Einnahmen und ich hoffe, es wird das letzte Mal sein, dass die internationale Gemeinschaft so viel Geld in Haiti stecken muss.

Sie wollen Haiti zu einem Finanzparadies machen?

Wir werden alles tun, um Investoren ins Land holen. Dafür wollen wir eine Atmosphäre schaffen, wo Investoren ihres Geldes sicher sind und wo sie das Recht haben werden, ihre Gelder herauszuziehen und mit ihren Gewinnen zu machen, was sie wollen. Sie werden keinen Widerstand bei meiner Regierung finden.

Mitglieder von internationalen Hilfsorganisationen sprechen von einer „permanenten humanitären Katastrophe in Haiti“. Täglich sterben Menschen an Magen-Darm-Krankheiten, an Tuberkulose und schlechtem Trinkwasser. Müssten dies nicht die Prioritäten Ihrer Regierung sein?

Der Schwerpunkt meiner Arbeit ist es, den Weg für eine weitere Entwicklung des Landes zu ebnen mit dem Ziel, Arbeitsplätze zu schaffen, damit die Bevölkerung gutes Wasser und eine gute Krankenversorgung bezahlen kann. Aber wir dürfen nicht nur auf humanitäre Hilfe setzen, sonst machen wir uns auf ewig von ihr abhängig. Deshalb bestehe ich auf Investio- nen in die Infrastruktur des Landes, damit Haiti in die Lage versetzt wird, sich selbst zu helfen.