Wasser statt Saft

Mit Video, Lachgas und Wasser gegen Karies: Die Zahnärzte der Praxis „Kids Docs“ wollen Kinderzähnen mit allen Mitteln helfen. Saft schädigt Milchzähne wie kaum ein anderes Getränk

VON EVA BLANK

Ein Fernseher hängt an der Decke über dem Behandlungsstuhl, eine Handpuppe bringt kleine Patienten zum Lachen, und ein Aquarium hilft den Kleinen, sich zu entspannen. Die Farben der Praxis sind in einem warmen Orange gehalten, doch der Geruch nach Zahnarzt bleibt. Die sieben Monate alte Rebekka hat noch gut lachen mit ihren zwei kleinen strahlend weißen Milchzähnchen. Doch das kann sich schnell ändern, wie Christoph Hoberg, Zahnarzt und Mitbegründer in der Kinderzahnarztpraxis „Kids Docs“ in Berlin Tiergarten weiß. „Unser jüngster Patient war 14 Monate alt. Wir mussten leider sechs kranke Zähne ziehen.“ Dabei hat die kleine Rebekka noch Glück. Zahnkaries bei Babys ist keine Seltenheit mehr. Hoberg meint ernst: „Die können wir leider noch nicht behandeln. Wir nehmen Kinder normalerweise erst ab 16 Monaten und einem Gewicht von zehn Kilo.“

Deshalb ist die Einrichtung der Praxis nicht allzu niedlich. „Die Kinder sollen hier etwas leisten. Wir sprechen mit ihnen, nehmen sie ernst und versuchen sie spielerisch dazu zu bekommen, den Mund aufzumachen“, erzählt Francesca Agostini, zweite Zahnärztin bei Kids Docs aus der Praxis. Wenn alle Ablenkungsmanöver nichts helfen, kommen Lachgas, Beruhigungsmittel und Narkose zum Einsatz. Schließlich soll der Arztbesuch zum positiven, möglichst schmerzfreien Erlebnis werden, auch wenn es manchmal nicht ohne Tränen geht.

Den Sprösslingen könnte der Weg zu Kids Docs erspart bleiben. Doch dazu muss sich die Ernährung der Kinder ändern. „Saft schädigt die Milchzähne wie kein anderes Getränk“, weiß Hoberg. Jedes Baby, jedes Kleinkind habe heutzutage eine Flasche im Kinderwagen. Diese Beobachtung macht der Zahnarzt bei seinen Spaziergängen auf der Turmstraße in Tiergarten. „Zu jeder Zeit und überall wird den Kleinsten schon Saft gegeben.“ Mundflora und Zahnschmelz haben keine Chance sich zu regenerieren, da sie stetig von Zucker umspült werden, meint auch Agostini, die drei Jahre Kinderzahnheilkunde in den USA studierte und dort die Liebe zu den Milchzähnen entdeckte. „Die von der Werbung suggerierte Annahme der Eltern, Biosaft und säurearmer Babysaft würden die Zähne nicht schädigen, ist leider falsch“, bedauern die beiden Ärzte. Für sie gibt es daher nur eine Alternative, die Milchzähne zu erhalten: Wasser. „Zu den Mahlzeiten darf es Saft geben. Aber dazwischen reicht Wasser“, erläutert Hoberg.

Halten sich Eltern nicht an diese einfache Regel, haben schon die Kleinsten Karies. Rund 80 Prozent der Kids-Docs-Patienten sind unter vier Jahre alt. Von ihnen wiederum müssen über die Hälfte unter Narkose operiert werden. Hoberg stimmt vor allem eines traurig: „Die Eltern kommen nicht, weil sie die schwarzen Zähne der Kinder sehen. Sie kommen, weil die nächtlichen Zahnschmerzen der Kinder ihnen den Schlaf rauben.“ Leider hält sich das Vorurteil hartnäckig, dass Milchzähne nicht wichtig sind, da sie sowieso ausfallen. Dabei ist längst bewiesen, dass kranke Milchzähne kranke Erwachsenenzähne produzieren.

Inzwischen nimmt das Team von Kids Docs sogar für jeden zu reparierenden Zahn eine zusätzliche Aufwandsentschädigung. Wenn die Krankenkasse nicht mehr alles bezahlt, zwingt das die Eltern, sich mehr mit dem Thema auseinander zu setzen. „Früher haben wir das nicht gemacht, und da kamen die Kinder jährlich mit Zahnschäden zu uns zurück“, erläutert Hoberg. Ihm geht es jedoch nicht darum, die Eltern zu Sündenböcken zu machen. Er will aufklären und vor allem den betroffenen Kindern helfen. Nur dann können Kinder noch mit vier Jahren so strahlend weiße Zähne haben wie die kleine Rebekka.