In den Ruinen von Srebrenica

Als 1995 serbisches Militär in Srebrenica tausende Zivilisten tötete, sah die Welt zu. Heute wird Bill Clinton dort ein Denkmal einweihen. Überlebende werden ihm zusehen. Dann gehen sie zurück in ihre zerstörten Häuser, wo kaum Hilfe ankommt

In ihrer Ruine hat sich Fida Fesharečić ein Zimmer eingerichtet – eher ein Verschlag

aus Srebrenica ERICH RATHFELDER

Es ist eine würdige Stätte geworden. Das Denkmal für die Opfer von Srebrenica liegt im Tal von Potočari, kaum vier Kilometer von Srebrenica entfernt. Unter dem Dach einer offenen Moschee wird Bill Clinton, der ehemalige Präsident der USA, heute hier der 8.000 Toten vom Juli 1995 gedenken. Das Gelände ist weitläufig, umfasst Teile des Tales und führt sogar zum gegenüberliegenden Hang hinauf. Hier sollen einmal alle Opfer von damals begraben sein. Jetzt sind es erst über 1.000 Menschen unter hölzernen Nisanen, den muslimischen Grabtafeln. Es handelt sich um jene Männer, deren Identität bisher eindeutig festgestellt werden konnte.

Auf diesem Platz trennten serbische Truppen unter dem Befehl von General Ratko Mladić am 11. und 12. Juli 1995 Frauen und Kinder von ihren Männern. Vom gegenüberliegenden Gelände einer Batteriefabrik, wo sie ihr Lager hatten, schauten niederländische UN-Truppen zu, wie Mladić Hunderte von Männern aus Srebrenica erschießen ließ. Und von diesem Platz aus versuchten mehr als 20.000 unbewaffnete Zivilisten aus Srebrenica zu fliehen, sie zogen über die Berge in Richtung der von bosnischen Truppen gehaltenen Region um Tuzla 60 Kilometer entfernt. Unterwegs wurden sie von serbischen Truppen überfallen und niedergemetzelt.

Clinton wird jetzt dabei sein, wenn weitere Opfer begraben werden. Und er wird sicherlich bewegende Worte finden. Auch Fida Fesharečić wird ihm zuhören. Sie war damals zusammen mit 25.000 Frauen und Kindern auf das Gelände der UN-Soldaten geflohen. Sie sah noch ihren Mann, ihre Söhne und Brüder, wie sie von dannen zogen. Sie selbst wurde mit den anderen Frauen in Busse gesetzt und nach Tuzla gebracht.

Es ist für sie schwierig, über die Ereignisse von damals zu sprechen. Ab und an unterbricht ein Schluchzen ihren Redefluss. Fida sitzt vor ihrem Haus, einer Ruine, knapp 300 Meter vom Denkmal entfernt auf dem Hang. Die Zwetschgenbäume tragen reiche Früchte. Sie bietet sie den Besuchern an.

Sie kam im Vorjahr zurück, berichtet die knapp 45-Jährige. Mit ihren beiden halbwüchsigen Töchtern. Von den Männern der Familie hat niemand überlebt. Das Haus war niedergebrannt, als sie ankam. In der Ruine richtete sie ein Zimmer her. Es ist eher ein überdachter Verschlag von vielleicht 10 Quadratmetern, darin liegen Matrazen, ein Öfchen steht in der Ecke, ein paar Kleidungsstücke hängen an den Wänden. „Wir bekommen keine Hilfe“, sagt sie, „weder von unserer Regierung noch von den internationalen Organisationen.“

Und doch ist Fida Fesharečić froh, „zu Hause“ zu sein. Das Leben im Flüchtlingslager Sivinice bei Tuzla war kein Leben. „Zumindest kann ich hier arbeiten.“ Das Feld, auf dem Tomaten, Zwiebeln, Paprika und Mais gedeihen, hat sie zusammen mit ihren Nachbarinnen Delia und Hamija wieder urbar gemacht. „Wir helfen uns gegenseitig, so gut es geht.“

Wenn nicht Hatidža Mehmedović wäre, hätte die eine oder andere der Nachbarinnen schon aufgegeben. Die energische Vorsitzende der „Mütter von Srebrenica“ versucht, Rückkehrerinnen Mut zu machen. Die 52-Jährige will bei den nächsten Wahlen „vielleicht“ sogar für das Amt des Bürgermeisters kandidieren.

Ihr eigenes Haus wurde von einer malaysischen Hilfsorganisation wieder hergerichtet. Auch sie hat ihren Mann und ihre beiden Söhne verloren. Sie deutet auf zwei Bäume im Garten, die vor 15 Jahren von den Söhnen gepflanzt wurden, und die Erinnerung überwältigt sie.

Immerhin seien jetzt schon knapp 1.000 Frauen zurückgekehrt, sagt Hatidža Mehmedović schließlich. „Und jeden Tag werden es mehr.“ Die serbische Bevölkerung verhalte sich gleichgültig. Überfälle habe es nicht mehr gegeben, die Polizei der serbischen Teilrepublik sei hilfsbereit. „Es wurden einige Muslime als Polizisten eingestellt.“ Auch der serbischen Bevölkerung von Srebrenica, wahrscheinlich um die 10.000 Menschen, gehe es schlecht, betont sie und deutet auf das ehemalige Krankenhaus, dessen Fensterhöhlen vom Ruß geschwärzt sind. Es ist eine Ruine.

Das Warenhaus der Stadt ist noch immer kaputt, viele Häuser drohen einzustürzen. „Wir hatten einmal elf Fabriken“, erinnert sich Hatidža, „die Silbermine, es gab Leder- und Textilindustrie, die Batteriefabrik war ausgelastet, die Leute hatten Arbeit, es ging uns gut. Jetzt ist alles zerstört.“