Gesamte Nachkriegsplanung unter Kritik

Der Dienstag vorgestellte Bericht einer Untersuchungskommission des Pentagon über die Vorgänge im Abu-Ghraib-Gefängnis kritisiert die militärische und politische Führung der USA so hart wie nie zuvor – nur Tage vor dem Republikaner-Parteitag

AUS WASHINGTONMICHAEL STRECK

Es könnte für die Republikaner am Vorabend ihres Parteitages nicht ungemütlicher kommen. Erst muss Präsident Bush nach dem Desaster mit TV-Wahlkampfspots über seinen Kontrahenten, die diesen der Lüge über seinen Vietnameinsatz bezichtigen wollten, einen Rückzieher machen, John Kerry öffentlich in Schutz nehmen und ihn für seinen Heldenmut loben. Dann wird Vizepräsident Dick Cheney plötzlich zum „mitfühlenden Konservativen“, findet homosexuelle Partnerschaften ganz in Ordnung und will, dass die Bundesstaaten und keine Verfassungsänderung die Frage der Homoehe regeln – und distanziert sich damit von seinem Boss. Und schließlich ist es nun auch offiziell, was Meinungsmacher der Regierung im Fall des Folterskandals von Abu Ghraib lange vorgeworfen haben: Sie trägt eine Mitschuld an den Misshandlungen.

Zu diesem Fazit kommt der am Dienstag vorgestellte Bericht einer Untersuchungskommission. Das vierköpfige Team unter Leitung von Ex-Verteidigungsminister James Schlesinger wirft Pentagonchef Donald Rumsfeld und der US-Militärführung vor, mitverantwortlich für Folter und Erniedrigung im irakischen Gefängnis zu sein. Er widmet sich weniger den wenigen Missetätern am unteren Ende der Kommandostruktur und weist die Regierungsmaxime, es handle sich bei dem Skandal lediglich um einige faule Äpfel, zurück. „Es gibt eine institutionelle und persönliche Verantwortung der gesamten Befehlskette hinauf bis nach Washington“, sagte Schlesinger. Die Fehler in der Militärführung hätten mangelhafte Anweisungen von zuständigen Stabsoffizieren verstärkt, die die Verantwortung für die Aufsicht über die Haftbedingungen und Gefangenenverhöre tragen, schreiben die Autoren weiter.

Vor allem seien die Anweisungen für Verhörmethoden fehlerhaft und unangemessen gewesen. Militärpolizisten vor Ort hätten nicht mehr gewusst, was erlaubt oder verboten gewesen sei. Dazu hätten die zwischen Herbst 2002 und Sommer 2003 wechselnden Pentagon-Richtlinien für Verhöre beigetragen, als Rumsfeld zunächst eine Reihe von „aggressiven“ Techniken absegnete, nach interner Kritik von Militärjuristen diese jedoch teilweise wieder rückgängig machte.

Auch wenn der Schlesinger-Report keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse liefert, handelt es sich dennoch um die bislang unverhüllteste offizielle Klage über das Verhalten des Pentagon. Bemerkenswert ist, dass die Kommission die gesamte Nachkriegsplanung im Irak auf den Prüfstand stellt. Sie kritisiert die völlig unzureichenden Vorbereitungen für die Besatzung und erhebt indirekt den Vorwurf, von Beginn an zu wenige Truppen stationiert zu haben.

Dennoch geht das Dossier nicht so weit, die Politik-Leitlinien – Aushebelung der Genfer Gefangenenkonvention – des Pentagon im Irakkrieg zu hinterfragen, die nach Ansicht von Experten erst das Klima für die Geringschätzung der Häftlinge geschaffen haben. Es bleibt in seiner Untersuchung bei der Ausführung dieser Vorgaben stehen. Menschenrechtsgruppen kritisieren den Bericht daher als unzulänglich. „Er handelt von Managementfehlern, wenn er über Politikversagen sprechen müsste“, sagt Reed Brody von Human Rights Watch. Er beklagt überdies, dass der Fokus auf dem Gefängnis Abu Ghraib gelegen habe, nicht aber auf anderen Militärgefängnissen im Irak oder in Afghanistan, wo es die meisten ungeklärten Todesfälle von Häftlingen gegeben habe. Da dem Report fast ausschließlich Informationen aus dem Pentagon zugrunde liegen, fordert Brody eine unabhängige Untersuchung nach dem Vorbild der „9/11“-Kommission.