Komplettes Versagen der Militärspitze

Zwei neue US-Untersuchungsberichte zu Misshandlungen von Häftlingen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib weist die Hauptschuld der US-Militärführung im Irak zu. Strafrechtliche Konsequenzen für die Verantwortlichen werden nicht gefordert

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Wer ist verantwortlich für die Misshandlungen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib? Militärpolizisten, vorgesetzte Offiziere oder die US-Regierung? Diese Kernfrage beantworten zwei neue Untersuchungsberichte. Sie werfen der gesamten Kommandostruktur der US-Streitkräfte Versagen vor – von der militärische Führungsspitze im Pentagon bis zu Geheimdienstoffizieren und Soldaten.

Der erste Bericht wurde am Dienstag veröffentlicht, von Pentagonchef Donald Rumsfeld persönlich in Auftrag gegeben und unter Leitung von Exverteidigungsministers James Schlesinger angefertigt. Er macht hohe Mitarbeiter des Ministeriums für die Misshandlungen in Abu Ghraib und anderen US-geführten Gefängnissen im Irak, in Afghanistan und Kuba mit verantwortlich. Mangelnde Kontrollen und unpräzise Richtlinien für Verhöre hätten Folter und Misshandlungen erst möglich gemacht. Das Dossier nennt keine Namen. Doch die Kritik am Pentagonchef und seinem Führungsstab ist deutlich. Erkannten Experten in der Politik des Pentagon schon lange eine Keimzelle für den Folterskandal, ist dies der erste Bericht, der Abu Ghraib in Verbindung mit der Regierung in Washington bringt.

Der zweite Report, eine armeeinterne Nachforschung unter Leitung von Generalmajor George Fray, schont das Pentagon vor harscher Kritik und weist die Verantwortung vor allem den zuständigen Kommandeuren im Irak, dem Militärgeheimdienst und der Militärpolizei vor Ort zu. Rund zwei dutzend Mitverantwortliche sollen namentlich genannt werden.

Der Untersuchungsbericht, der in dieser Woche veröffentlicht werden soll, komme nach Informationen der Washington Post zu dem Schluss, dass ranghohe Kommandeure keine Misshandlungen angeordnet hätten. Dennoch werde Offizieren eine mangelnde Beaufsichtigung ihrer Soldaten vorgeworfen.

Vorwürfe würden auch gegen den Exbefehlshaber der US-Truppen im Irak, General Ricardo Sanchez, erhoben. Dieser solle die Behandlung von Häftlingen nicht angemessen beaufsichtigt haben. Auch Gefängnischefin Janis Karpinski werde wegen mangelnder Führungsqualitäten kritisiert. Der Fray-Report resümiert, dass die militärische Führung im Irak völlig versagt habe.

Die Schlesinger-Kommission kommt zum gleichen Schluss. Die Gefängnisverwaltung habe die zunehmend brutaleren Verhörpraktiken ignoriert. Karpinski und Oberst Thomas Pappas, Kommandeur der mit den Verhören beauftragten Brigade des Militärgeheimdienstes, hätten von den Misshandlungen gewusst oder wissen müssen.

Soweit bekannt, empfiehlt auch der Fray-Bericht keine strafrechtlichen Konsequenzen für die Verantwortlichen. Angesichts des gegenwärtig schwachen politischen Drucks hinsichtlich der Aufarbeitung des Folterskandals sei dies jedoch ohnehin kaum zu befürchten.