Tito und die Nachgeborenen

Der Arte-Themenabend „Balkan Blues“ erzählt in vier Filmen von den Jugo-Nostalgikern und dem alltäglichen Leben junger Menschen in einem Land, das es nicht mehr so richtig gibt (ab 22.40 Uhr)

von HEIKO HÄNSEL

Regisseur Zoran Solomun erzählte gern Geschichten. Eine geht so: Nachdem Slobodan Milošević gestürzt war, stürmten Belgrader Freunde des Regisseurs in die Universität und nahmen den Studentenklub wieder in Besitz, aus dem sie vor mehr als einem Jahrzehnt von den Milošević-Leuten vertrieben worden waren. Sie feierten. Die Freude war jedoch kurz. Denn den Männern und Frauen wurde schnell bewusst, dass sie nun bald vierzig waren. Sie hatten in dem Studentenclub nichts mehr zu suchen.

Die heutige ARTE-Dokumentation erzählt aber nicht von dieser bereits verlorenen Generation, sondern von der folgenden. Diese so genannten Einundneunziger sind zu jung, um Tito-Jugoslawien, das 1991 zerfiel, erlebt zu haben. Ihr Aufwachsen stand ganz im Zeichen des moralischen und gesellschaftlichen Abstiegs des letzten Jahrzehnts.

Solomun lässt unter dem etwas pathetischen Titel „Balkan Blues – Verletzte Jugend“ in einem Gemeinschaftprojekt zwei Regisseurinnen und einen Regisseur aus Sarajevo, Belgrad und Skopje in jeweils eigenen Beiträgen von 40 bis 55 Minuten von ihrem Alltag im Jahr 2001/2002 berichten. Filmtechnisch sind das keine Meisterleistungen, aber gelungene Dokumentationen des träge dahinfließenden Alltagslebens in Balkania.

Im Film „Connections“ versucht Jelena Marković, Absolventin der Filmhochschule in Belgrad, einen ihrer Ausbildung entsprechenden Job zu finden. Marković bebildert ihre andauernde Erniedrigung. Sie geht Klinken putzen, nutzt die Beziehungen ihrer Mutter. Einmal ist sie erfolgreich und darf den Lockvogel für die serbische Version von „Versteckte Kamera“ spielen. Am Ende ist da doch so etwas wie Hoffnung, als sie sich auf eine Ausschreibung im serbischen Kulturministerium bewirbt.

Ognen Dimitrovski hat in „Oase des Friedens“ die Form des filmischen Tagebuchs gewählt. Nach dem Abschluss des Friedensvertrages von Ohrid im August 2001, der den ethnischen Konflikt zwischen Mazedoniern und Albanern in Mazedonien lösen sollte, begleitet er seinen Freundeskreis. Ihm gelingen dabei mit seinen geringen Mitteln starke, auch brutale Bilder: zum Beispiel, als seine albanische Freundin von der Ermordung ihres Schauspielschülers erfährt. In den Alltag, in dem scheinbar nichts passiert, bricht plötzlich das ein, was man dann in Westeuropa in den Nachrichtenagenturen liest.

Im „Sarajevo-Projekt“ von Jasmila Zbanić dominiert die Kriegserfahrung. Zbanić sucht eines der ersten Bombenopfer der Belagerung der Stadt 1992 und findet das Mädchen im Ausland.

Solomun hat seine jugendlichen Schützlinge ein Porträt der Reste der sozialistisch-jugoslawischen Mittelklasse herstellen lassen. Diese hatte einst auf ein funktionierendes System vertraut. Jetzt warten die Hochausgebildeten erneut darauf, dass wieder ein funktionierendes System installiert wird. Es ist aber keines in Sicht. Die einzige reale Chance für ein besseres Leben ist die Auswanderung.

Solomun, der seit Ende der Achtzigerjahre in Deutschland lebt, kontrastiert die Erfahrungen der postjugoslawischen Einundneunziger-Generation mit seiner Liebe zu dem untergegangenen Land. Er nennt sich selbst einen „Jugo-Nostalgiker“ und sucht in Sarajevo, Skopje und Belgrad die Spuren eines positiven Jugoslawienbildes. Er stößt dabei vor allem auf Tito-Kult und in Serbien auf jene merkwürdige Deckungsgleichheit von „jugoslawisch“ und „serbisch“, die einst mithalf, den alten Staat auseinander zu hebeln. Weder das alte noch das neue Lebensmodell taugt. „Balkan Blues“ ist ein sehr pessimistischer Film.