Weichmacher unter Eid

Charles Graner, der Hauptbeschuldigte im Folterskandal, beklagt sich über illegale Ermittlungsweise

AUS MANNHEIM KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Die Presseoffiziere der US-Armee aus dem Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa (USAREUR) in Heidelberg stehen unter Stress. So wie die rund 50 Journalisten aus aller Welt, die gestern in Mannheim zum ersten Mal in ihrem Berufsleben mit den Eigenheiten der US-Militärgerichtsbarkeit konfrontiert werden. Seit 9 Uhr findet in einem Gemeinschaftsraum der Taylor Barracks unter dem Vorsitz von Richter James L. Pohl die Anhörung von vier US-Militärpolizisten statt, denen unter anderem vorgeworfen wird, im Irak mehrere Gefangene misshandelt und (sexuell) erniedrigt zu haben.

Das Verfahren ist kompliziert. Einer der Presseoffiziere schleppt das gigantische Handbuch der US-Militärgerichtsbarkeit mit sich herum – ein Werk, umfangreicher als die Heilige Schrift, auf die alle Verfahrensbeteiligten gleich zur Eröffnung eingeschworen werden. Mit der Anhörung, so steht in dem Handbuch geschrieben, soll dem Militärgericht bei einem Kapitalverbrechen, in das Angehörige der US-Streitkräfte mutmaßlich „verwickelt“ sind, die Gelegenheit eingeräumt werden, das vorliegende Beweismaterial vorab zu prüfen und Zeugen anzuhören. Erst danach wird über die Eröffnung einer Hauptverhandlung gegen die Beschuldigten entschieden.

Die Anhörung ist auf Antrag der Verteidigung nach Deutschland verlegt worden. Sie soll heute beendet und dann entweder im Irak oder in den USA fortgesetzt werden. Im Mittelpunkt der Anhörung stand gestern Charles Graner, wie alle anderen Beschuldigten Mitglied der 372. Militärpolizei-Einheit, aber auch der mutmaßliche Initiator der Folterungen. Graner soll auch die Fotos „geschossen“ haben, auf dem seine Freundin, die Gefreite Lynndie England, einen nackten Gefangenen an einer Hundeleine hält. Graner selbst ist auf einem Foto vor einer Pyramide nackter Gefangener zu sehen. Nach den Ermittlungen der Militärpolizei und des US-Militärgeheimdienstes soll er inhaftierte Iraker gezwungen haben, sich vor den Augen von England auszuziehen und sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen. Bei Graner wurden nach der Aufdeckung der Verbrechen im Januar 2004 mehrere CDs mit entsprechenden Fotos, eine Videokamera und ein Computer beschlagnahmt.

Graner selbst berief sich gestern auf einen „Befehlsnotstand“. Gefangene hätten für Verhöre „weich gemacht“ werden sollen, behauptete er. Die Armeeführung bestreitet das. Graners Verteidiger plädierten auf Verfahrenseinstellung. Die Beschlagnahme der genannten Gegenstände sei „illegal“ erfolgt, so ihre Argumentation. Graner sei von Mitgliedern des US-Geheimdienstes im Morgengrauen aus dem Bett und zum Verhör geholt worden. Nach „sieben Tagen Dienst am Stück“ sei ihr Mandant aber nicht mehr vernehmungsfähig gewesen. Und sein Zimmer sei von den Geheimdienstleuten ohne neutrale Zeugen und in seiner Abwesenheit durchsucht worden. „Voll gestresst“ sei er tatsächlich gewesen, sagt Graner denn auch auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters. Ansonsten gibt er sich maulfaul; Militäranwälte in Kampfanzügen geben den Ton an. Richter Pohl gibt dann dem Antrag der Verteidigung nicht statt und vertagt die Entscheidung darüber.

Nur Journalisten sind als Beobachter der Anhörung zugelassen. Sie müssen sich mit zwei großen Fernsehapparaten zufrieden geben, auf denen die Verhandlung im Gerichtssaal gleich nebenan übertragen werden. Ein schmuckloser Raum. Die Fenster sind mit blauem Tuch verhängt. Links vom Richtertisch ist das Sternenbanner aufgestellt.

Die US-Armee serviert in der Verhandlungspause starken Kaffee und Mohnschnecken. Elke Herberger, deutsche Sprecherin der USAREUR und der 7. US-Armee, beantwortet geduldig alle Fragen nach dem Verfahrensverlauf und verteilt Pressemappen. Nicht nur die Presseoffiziere, auch die einfachen GIs in den Taylor Barracks sind entsetzt. Sie fordern strenge Strafen für die Beschuldigten, die „die Ehre der US-Streitkräfte beschmutzt“ hätten. Im Presseraum hängen Gemälde von den „historischen Heldentaten“ der 7. Armee an der Wand: Die Kavallerie gegen die Indianer. US-Panzer im Einsatz in den Weltkriegen I und II. Hubschrauber im Vietnamkrieg. Und wieder Panzer im II. und III. Golfkrieg.