Attentat auf jüdisches Sozialzentrum

In Paris wird eine Suppenküche durch einen Brandanschlag total zerstört. Hakenkreuzschmierereien am Tatort weisen eindeutig auf einen antisemitischen Hintergrund hin. Frankreichs Premier Raffarin kündigt harte Bestrafung der Täter an

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Zwei rote Hakenkreuze prangen auf der Kühltruhe. Sie steht auf dem Trottoir der Rue Popincourt, direkt vor dem ausgebrannten Holztor zu einem jüdischen Sozialzentrum. Im Inneren versorgte seit Jahrzehnten eine Suppenküche Bedürftige mit Essen. Nachmittags trafen sich alte Männer zum Kartenspielen. Das war so, bis zur Nacht zu gestern. Da brannte das Zentrum im Herzen des 11. Pariser Arrondissements komplett aus.

Gegen drei Uhr in der Nacht riefen Anwohner die Feuerwehr. Die löscht den Brand in dem 100 Quadratmeter großen Lokal im Erdgeschoss. Personen kommen nicht zu Schaden. Die Bewohner der oberen Etagen des Backsteinhauses bleiben in ihren Wohnungen. Aber das Sozialzentrum ist völlig zerstört. In den 20er-Jahren war an seiner Stelle eine türkische Synagoge entstanden. Am Ende der deutschen Besatzung wurde sie zum Sozialzentrum.

In den rauchenden Trümmern seines Zentrums hat Serge Benhaim gestern Morgen verschiedene antijüdische Aufschriften gelesen. Alle mit rotem Filzstift geschrieben. „Viele enthalten Rechtschreibefehler“, sagt der Direktor. Unter anderem hat er dort Folgendes gelesen, berichtet er: „Tod den Juden“. Und: „Es lebe der Islam“. Und: „Ohne Juden wird die Welt sauberer“.

Am frühen Sonntagmorgen nach dem Brand, an dessen kriminellem Ursprung niemand in Paris zweifelt, wird die Sache zum Politikum. Die Spitzen der Republik melden sich zu Wort. Der Präsident, die Chefs sämtlicher Parteien und die Sprecher aller Religionsgemeinschaften verurteilen den Akt und sichern der jüdischen Gemeinde ihre Solidarität zu. Nacheinander besuchen der Pariser Bürgermeister, der Polizeichef und der Premierminister die Rue Popincourt. Alle erklären ihr Entsetzen. Premier Raffarin versichert, die Täter würden mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verfolgt und hart bestraft werden: „Ihnen drohen bis zu 20 Jahren Gefängnis.“

Der Brand in dem Sozialzentrum trifft auf eine explosive Stimmung in Frankreich, wo sich in den vergangenen Wochen und Monaten Angriffen auf Menschen jüdischen Glaubens und auf Einrichtungen der Gemeinde – darunter mehrere Friedhöfe – gehäuft haben. Einer davon scheint aufgeklärt zu sein. In Lyon sitzt ein Mann in Haft, der sich selbst beschuldigt, einen Muslim auf offener Straße mit einer Axt angegriffen und anschließend 60 jüdische Gräber mit Hakenkreuzen beschmiert zu haben. Genetische Tests der Tatwerkzeuge geben ihm Recht.

Auf der Rue Popincourt führen Gläubige aus der benachbarten Synagoge aufgeregte Diskussionen, während Polizisten die Ermittlungen beginnen. „Wenn die Regierung erlaubt, dass in Paris Leute für Scheich Jassin demonstrieren, darf sie sich nicht wundern, wenn so etwas passiert“, schimpft ein Mann. „In unserem Land herrscht Meinungsfreiheit“, hält ihm ein anderer entgegen. Beide tragen Kipa.

Der Direktor des Sozialzentrums berichtet von einem anderen antijüdischen Akt aus seinem Stadtteil. Vor einem Jahr zerstörten Unbekannte eine Gedenkplakette an der Sporthalle „Jappy“. Von dort aus wurden Juden in die NS-Vernichtungslager deportiert. „In den letzten Jahren ist das Klima schlechter geworden“, sagt Serge Benhaim. Und: „Ich habe Vertrauen in die Republik. Aber Vertrauen muss man immer wieder verdienen.“