Rheingold zum Knuspern

Eine Einführung in die Fantasy-Welt des Richard Wagner: In den Räumen der Staatsbank in Mitte wird derzeit der „Ring des Nibelungen“ in Szene gesetzt – an zehn Abenden, zur Musik vom Band

Die Abende in der Staatsbank, bunt und erregend, stellen das Hörverhalten in Frage

von CHRISTIANE TEWINKEL

Wer Geist und Sinne einmal so richtig zuknallen möchte mit Reizen, der kann in diesen Tagen zu Richard Wagners Überoper „Ring des Nibelungen“ in die Staatsbank gehen. Abend für Abend steigt man dort in die obere Etage des Gebäudes wie in eine versteckte Dachkammer und findet: brennende Öfchen. Einen Hügel mit goldeingewickelten Karamellbonbons, der womöglich das Rheingold darstellt und an dem auf jeden Fall geknuspert werden darf. Ein Aquarium. Sessel, Teppiche, vielleicht auch silberne Auslegeware. Eine Wohnzimmerwand, auf der jeden Abend von neuem herumtapeziert wird. Dazu Videoinstallationen, Performances und, vor allem (manchmal allerdings auch daneben, dahinter): Wagners „Ring“, in zehn Abenden. Nie live, stets nur von Tonträgern.

In den von Berthold Schneider (Regie) und Veronika Witte (Installation) betreuten Veranstaltungen geht es um „Wagner daheim“ und alle anhängigen Fragen. Deren freilich sind so viele, dass man sie am besten durchnummeriert – ähnlich beflissen vielleicht wie die vielen kleinen wiederkehrenden Stückerl des „Ring“ 1876 geordnet und als „Leitfaden“ fürs Publikum veröffentlicht wurden: Wer sie kannte, war besser dran. Konnte sich gefühlig durch das mehrabendliche Spektakel winden, konnte wiedererkennen und sich gut vorkommen, die hunderttausend Querverweise innerhalb des Werkes besser verstehen.

Manchmal gibt es in der Staatsbank vor Beginn ein passendes Leitmotivtraining, das klingt dann ungefähr so: „Fünfundfünfzig (Musik). Sechsundfünfzig (Musik)“. Und so weiter.

Die Staatsbank-Abende bespiegeln erstens unser Zuhörverhalten. Welchen Gesichtsausdruck legt man auf, wenn man klassischer Musik lauscht, die aber bloß vom Band kommt? Am Premierenabend gab es jene Mischung aus Andacht und angestrengtem Wohlwollen, die man in Klassische-Musik-Konzerten so häufig sieht. Die Menschen saßen und versuchten, Haltung zu bewahren. Aber wohin schaut man, wenn es gar keine Bühne gibt? Na, zuerst einmal dorthin, wo es glänzt: zum Bonbon-Rheingold. Und ist denn nicht solches Musikhören jenen Treffen siebzehnjähriger Nerds vergleichbar, die sich Mahler-Symphonien anhören? Vielleicht. Aber dafür sind die Abende zu bunt und erregend.

Pragmatische Ableger dieser Zuhörfragen sind die nach aufnahmetechnischen Details. Auf Bildschirmen las man den ehemaligen Chef des DDR-Labels „Eterna“ über Standards in der Studiotechnik sprechen, ein anderes Mal wurde zum Thema „globale CD-Piraterie“ aufgelegt – Overhead-Folien, keine Platten.

Manchmal formatierten sich die Fragen nach den technischen Medien um und erschienen im Gewand der Abspielung selbst: Dem dritten Akt der „Walküre“, lauschte das Publikum in einer Radioübertragung aus Iowa. Freundlich grüßte die Moderatorin die Besucher der „installation-performance“ von Berthold Schneider in der Staatsbank Berlin. Die Halle freute sich. Und während Videos die Welt eines Schlaflabors zeigten, das aufwändige Verkabeln, Versorgen, Ins-Bett-Legen, den tiefen Schlaf selber, kam im virtuellen Nebenschauplatz, der Welt des „Ring“, Brünnhilde selbst ans Schlafen. Feuer umlodert sie, in der Staatsbank öffnete ein Helfer die Türen der Bulleröfen.

Mit dem „Ring“ kann man Jahre verbringen, ehe man versteht, wer wen von hinten durchbohrt, sich in eine Kröte verwandelt, mit der eigenen Schwester schläft, auf einem Pferd ins Feuer reitet, einen giftigen Trank braut. Es ist eine Fantasy-Welt, die für ein ganzes Leben intensiver Beschäftigung vorhalten kann.

Wie lässt sich vermitteln, was passiert? Auch diesen Frage-Joker behalten Schneider und Witte stets in der Hand. Bisweilen übersetzt die gehörlose Heidrun Orth mit Gebärdensprache, was gesungen wird. Vor sich hat sie ein Skript, auf dem sekundengenau steht, was im Moment zu hören ist. Oft wird mit Barbiepuppen nachgestellt, was passiert, ein unalbernes Spiel im Spiel. Und während des zweiten Akts der „Walküre“ gab es einen musikologischen Vortrag.

Zwar wird das alles manchmal zu viel. Wie Lämmchen ordnete sich das Publikum beim „Rheingold“ unter, drehte den Kopf nach jenem Bildschirm, reckte die Hälse nach dieser Leinwand. Ließ sich die Performance des Künstlers Skall gefallen, stand gebannt und distanzlos vor dem Teig rührenden Mann, der sich dann auszog, sich beschmierte und rechtzeitig als Erda in gleißendes Licht gestellt wurde: „Alles, was ist, endet.“ Unnötige Geschmacksverstärker für eine Musik, die ganz von selbst unglaubliche Sogwirkung entfalten kann.

Doch zeigte man damit auch auf ein Spezifikum von Wagners Musik. Richard Wagner wird nicht nur wegen seiner antisemitischen Äußerungen kontrovers diskutiert. Manche mögen seine Musikdramen auch nicht wegen ihrer Totalität. Für wieder andere Menschen ist es lustvoll, sich in das Wagner’sche Paralleluniversum zu stürzen.

Traurig sah der Vorsitzende des Berliner Wagner-Verbandes am ersten Abend auf die vielen Sperenzchen, die auf die Musik wiesen und doch ständig von ihr ablenkten. „Sind Sie auch Wagnerianerin?“, hatte mich eine ältere Frau vor Beginn der Vorstellung gefragt. Sie ist nicht mehr wiedergekommen.

Die „Götterdämmerung“ in der Staatsbank, Französische Straße, Mitte: am Mittwoch: Akt I, Donnerstag: Akt II, Freitag: Akt III, jeweils um 20 Uhr