Die Welt und der Witz

„Nie Dichter, nie Künstler, nie Held, nur immer Mensch“: Erwin Blumenfeld in der Berlinischen Galerie

VON EGBERT HÖRMANN

Es ist wenig verwunderlich, dass wir Erwin Blumenfeld (1897–1969) hauptsächlich als Fotografen wahrnehmen. Immerhin zählte er in den 1940er- und 1950er-Jahren zu den international berühmtesten Modefotografen. Vor allem seine 20-seitige Strecke mit den oft kopierten Eiffelturm-Fotos in der französischen Vogue vom Mai 1939 wird erinnert. Oder sein berühmtes Cover für die Zeitschrift im Januar 1950, für das er das Porträt eines Models kühn auf Mund, Leberfleck, Augenbraue und Auge reduzierte. Hinzu kommt noch seine sorgfältig für die Nachwelt zusammengestellte Auswahl „Meine 100 besten Fotos“, und Literaturfreunde kennen vielleicht die erst 1998 vollständig erschienene Ausgabe seiner fulminanten Autobiografie „Einbildungsroman“, in der Blumenfeld dezidiert berlinerisch die ersten 44 Jahre seines Lebens und hauptsächlich die Zeit in Berlin und den Ersten Weltkrieg beschreibt.

Deshalb ist es als eine mittlere Sensation zu bewerten, dass nun in der Berlinischen Galerie – unweit seines Geburtshauses in Berlin-Mitte, Wilhelmstraße 140 – Blumenfelds bis heute fast unbekanntes Frühwerk zu sehen ist. Unter dem Titel „Dada-Montagen 1916–1933“ hat Helen Adkins, eine ausgewiesene Kennerin der Berliner Dada-Bewegung, hier 50 Montagen und 30 dem Montageprinzip verpflichtete Fotos zusammengetragen. Es ist eine Zusammenschau, die als repräsentativ und für das Gesamtouevre aufschlussreich bezeichnet werden kann, da von Blumenfelds Montagen nur ungefähr einhundert erhalten sind.

„Anfangs war mein Witz ja nur die Fähigkeit, in allem das Komische zu sehen und zu bekritteln. Dann hat mich die Welt zerbrochen und die giftige, weltfeindliche Satire kam zustande“: Im gutbürgerlich-jüdischen Milieu aufgewachsen, wurde der lebenslängliche Bibliomane (zur Bar-Mizwa wünschte sich der 14-Jährige 360 Bücher!) allzu früh zum Zeugen und zum Opfer privater und historischer Schicksalsschläge. Wegen seines „jüdischen“ Aussehens war er schon als Kind antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt. Der Vater starb 1913 an Syphilis, die Familie ging bankrott, die eigene Mutter (Blumenfeld erklärte sie danach für tot) denunzierte 1918 ihren Sohn, als sie von seiner geplanten Fahnenflucht erfuhr. Ebenfalls 1918 fiel sein Bruder, die Schwester starb 1925 an Tuberkulose. Armut, Trennung, Vertreibung und Exil bestimmten den weiteren Lebensweg, bis dann 1941 in den USA eine spektakuläre Karriere begann.

Wie seine ganze Generation war auch Blumenfeld durch die Erfahrung des Erstes Weltkriegs geprägt. Der erste technische Krieg der Menschheitsgeschichte, ein Wirtschafts- und Materialkrieg, ein totaler Krieg, verschonte keinen Lebensbereich. Auch in der Kunstgeschichte bedeutete er zynischerweise einen radikalen und entscheidenden Einschnitt, der nicht nur die menschliche Wahrnehmungserfahrung selbst, sondern vor allem ihre Verarbeitung und Darstellung radikal veränderte. Die Künstler bearbeiteten diese traumatischen Erfahrungen, indem sie sich der Dezentrierung des Menschen, dem Asymmetrischen, dem Disparaten und dem Fragmentarischen zuwandten, etwa im neuen Medium der Collage und Montage. Spätestens in den 1920er-Jahren gelangte das, was man heute als den klassischen Typ der Fotomontage bezeichnet, zur Perfektion und entwickelte sich zu einer weitverbreiteten Kunstform bei Avantgarde und in der Populärkultur.

Auch Blumenfeld montierte und schickte seine ersten Montagen 1916 an seine Verlobte. Danach erhielten Freunde und Künstler diese Blätter. Spöttisch, anarchisch, humorvoll, verzweifelt, ironisch und dadaistisch vereinen sich hier, einer inneren Logik folgend, die unterschiedlichsten Elemente. Alle Gegenstände, aus ihrem gewohnten Kontext herausgelöst und entfremdet, erlangen so, zu einem Kosmos mit eigener Gesetzmäßigkeit zusammengefügt, metaphorische Aussagekraft. In ihrer Allgemeingültigkeit sind sie auch heute noch wunderbar lesbar und verständlich.

„Die Welt ist eine Geltungsbedürfnisanstalt“, der er nicht zuarbeiten wollte, dekretierte Erwin Blumenfeld. Daher waren seine Blätter nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und wurden zu seinen Lebzeiten nie ausgestellt. Sie fungierten vielmehr als eine private Chronik, als Tagebuch und als „ein Weg, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen“, wie seine Witwe später sagte.

Die Hauptthemen sind zunächst das für den Absender ambivalent-angespannte Verhältnis von Mann und Frau (Blumenfelds Lebensphilosophie und Geschlechterverständnis waren von Strindbergs „Ich-Dramatik“ und Otto Weiningers misogyn und antisemitisch unterfütterter Studie „Geschlecht und Charakter“ von 1903 bestimmt), ein gewichtiger Teil des Frühwerks dreht sich um die eigene Selbstreflexion und Selbstdarstellung, ein Thema, das Blumenfeld bis zuletzt faszinierte. Dazu kommt das Thema Helden, für das Charlie Chaplin und der Boxer Jack Johnson standen, von 1908 bis 1915 der erste schwarze Weltmeister im Schwergewicht. Die Auseinandersetzung mit den deutsch-nationalen Strömungen in der Weimarer Republik und später der aufkommende Faschismus beschäftigen Blumenfeld, aber auch Großstadtphantasmagorien und technische Neuerungen. Genial richtete Blumenfeld Empörung, Hass und Abscheu gegen seine beiden Intimfeinde Wilhelm II. und bereits Anfang der 1930er-Jahre visionär gegen Hitler.

Blumenfeld ging bereits 1918 ins Exil, zunächst nach Amsterdam,1935 zog er dann nach Paris um. Nach der gewaltsamen Trennung der Familie und nach der Internierung in diversen Lagern gelangte er 1941 auf abenteuerliche Weise nach Amerika. 1942 wurde seine Fotomontage „Hitlerfresse“(1932) als Propagandaflugblatt über Nazi-Deutschland abgeworfen. Nach Deutschland kehrte er nach dem Krieg nur noch zu Stippvisiten zurück.

„Ich will nie Dichter sein, nie Künstler, nie Held, nur immer und immer Mensch“, war seine Devise. Dennoch zeigt sich mit dieser Ausstellung eine weitere Facette eines veritablen „uomo universale“, eines Renaissancemenschen der ganz eigenen Art allerdings. Und wir bekommen einen schmerzhaft intimen, luziden Einblick in die frühen Jahre und den inneren Kosmos eines unfreiwillig zerrissenen, kompromisslosen und widersprüchlichen jüdischen Lebensschicksals. Wie Janos Frecot in seinem Vorwort schreibt, war diese Ausstellung überfällig, und wohl noch überfälliger ist sicher eine umfassende Retrospektive, „die Montage, Malerei, Fotografie, Dichtung und Prosa zum Gesamtkunstwerk eines apokalyptischen Lebens komponiert“.

Bis 31. August, „Erwin Blumenfeld: Dada-Montagen – In Wahrheit war ich nur Berliner“. Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, Mi.–Mo. 10–18 Uhr