Tumber Terror im Theater

Spielzeiteröffnung in Hannover: Gezeigt wird „Dantons Tod“ in einer Fassung des Regisseurs Igor Bauersima. Doch der verhebt sich beim Versuch, Büchners Stück zurechtzubiegen

Aus HannoverMarkus Jox

„Dantons Tod“, Georg Büchners großes Revolutionsdrama, spielt im Jahr 1794. Also zu Zeiten der jakobinischen Schreckensherrschaft. Auf der einen Seite steht Danton, der populäre, sich wollüstigen Ausschweifungen hingebende Epikuräer, auf der anderen Robespierre, der asketische Tugendrigorist.

Im Schauspiel Hannover wird zu Beginn der neuen Spielzeit auch „Dantons Tod“ gegeben. Und zwar „nach Georg Büchner“, „in einer Fassung von Igor Bauersima“: Das ist ungewöhnlich, denn der Schweizer Regisseur schreibt sich die Stücke meist selbst. Dass er einen klassischen Stoffe bearbeitet, ist neu – und ein solcher Saisonstart darf als hoffnungsvolles Signal gelten: Offenbar lässt sich Intendant Wilfried Schulz seine Lust am experimentellen Theater durch Sparzwänge nicht verderben. Erst kürzlich hat die Landesregierung beschlossen, alle Zuwendungen für Niedersachsens Staatstheater einzufrieren. Weil die Bühnen gestiegene Versicherungspolicen ebenso selbst tragen müssen wie die Tariferhöhungen, bedeutet das faktisch deutliche Kürzungen. Es spricht für den gestalterischen Mut des Schauspiel-Chefs, in dieser Lage keine Publikumsströme sichernde werktreue Klassikeraufführung aufzutischen, sondern eine heikle Neubearbeitung.

Bauersima allerdings wird dem Vertrauensvorschuss nur bedingt gerecht: Er biegt sich seinen Danton knirschend und krachend fürs 21. Jahrhundert zurecht. Deshalb darf das Stück nicht in einem Edelpuff mit Grisetten und Anzüglichkeiten starten wie bei Büchner, sondern mit dem Gebrüll zweier bis an die Zähne bewaffneter Terroristen: „Wir verlangen den Rücktritt des Präsidenten“, blaffen sie in eine Fernsehkamera, andernfalls werde man das Theater sprengen. Fünf Schauspieler seien bereits erschossen.

Worauf Bauersima anspielt,ist klar: 50 tschetschenische Terroristen hatten im Oktober 2002 ein Moskauer Theater gestürmt und gedroht, es zu sprengen. Dort wurde zwar nicht Büchner, sondern ein Musical gegeben. Und das Ziel der Attentäter war nicht die Legitimation der Diktatur, sondern die Unabhängigkeit ihres Landes. Dennoch liegt die Parallele auf der Hand: Beidesmal geht es um die Frage, ob Freiheit mit Gewalt erzwungen werden darf. Nur leider wirkt die Rahmenhandlung sehr konstruiert. Da gibt Denis Burgazliev den – von Bauersima erfundenen – dantonesk-Gemäßigten Terroristen „D“, die Terroristin „R“ hingegen geriert sich als Scharfmacherin à la Robespierre: Kate Strong muss kräftig krakeelend mit ihrer Schusswaffe herumfuchteln. Auch die Verzahnung beider Ebenen misslingt. Ein Beispiel: „Euer Stück interessiert mich“, sagt D. zu den gekidnappten Schauspielern, „wer hat es geschrieben?“ „Büchner“, antwortet einer. „Kenn‘ ich nicht, war der gut?“, bellt der Terrorist. „Das ist eine Art Nationalheiliger.“ – „Warum?“ – „Der ist früh gestorben.“ Da lacht das Publikum trotz Geiselhaft, die Aufführung rutscht ab in den Klamauk.

Danton wird in Hannover von dem großartigen Dominique Horwitz gespielt. Der fühlt sich sichtlich wohl in seiner Rolle: Er darf Austern schlürfen, Chansons schmettern und über die Bühne tanzen. Bernd Grawert gibt den Robespierre kalt und bleich und schneidend. Anne Ratte-Polle als Saint-Just jedoch kreischt derart überdreht im Nationalkonvent herum, dass sie allenfalls als Karikatur eines Demagogen durchgeht.

Zu beeindrucken vermag indes das Gefängnis, in dem Danton und seine Mitstreiter der Guillotinierung harren: Durch Spiegeleffekte blicken die Zuschauer den Inhaftierten gleichsam von oben auf die Köpfe, der Guckkasten auf der Bühne scheint sich zu verflüchtigen, während die Wirklichkeit längst woanders stattfindet, weit vorne, an der Rampe.Terrorist D. erliegt einer Schussverletzung. Und auch Robespierre-Darsteller Bernd wird ‚ermordet‘ – Terroristin R. hatte ihn für den verhassten Präsidenten gehalten.

Staatsschauspiel Hannover: Dantons Tod. Nächste Aufführungen: 20. und 28. September, jeweils 19.30 Uhr