Schönwetteranalyse

Trotz der 1:0-Niederlage in Leverkusen verlässt der HSV als gefühlter Sieger den Platz – wie Fastabsteiger Leverkusen in der vergangenen Saison

Vielleicht müssen wir mal öfter auf das Tor schiessen

aus LeverkusenERIK EGGERS

Bekanntlich ist das, was der Deutsche Wetterdienst einst nüchtern aus Offenbach vermeldete, mittlerweile Anachronismus. Jörg Kachelmann revolutionierte dieses Genre, als er die Temperaturangaben und Windstärken um moderne Faktoren ergänzte.

Die Rede ist dann von „gefühlter Temperatur“ und anderen seltsamen Dingen. Daran erinnerte auch die Analyse des HSV nach der 0:1-Niederlage beim neuen Tabellenführer. „Wenn man die nackten Zahlen sieht“, meinte Trainer Kurt Jara, „dann sind wir am Boden“, und in der Tat sprechen der bisher einsame Punkt nach fünf Spielen und der Abstiegsplatz eine deutliche Sprache. Das Resultat war mithin erneut enttäuschend, und dennoch existierten ganz offenbar enorme, gefühlte Unterschiede. „Das Gefühl“, sagte Nico-Jan Hoogma, „ist anders als bei den anderen Spielen“.

Der Verlierer also empfand sich, obwohl die Fakten gegen ihn sprachen, als Gewinner des Tages, eine Einschätzung, die auch Leverkusens Kapitän Carsten Ramelow indirekt bestätigte, als er von einem „irgendwie komischen Spiel“ berichtete. „Heute“, analysierte HSV-Keeper Pieckenhagen, „hat man einen anderen HSV gesehen als in den letzten Wochen.“ Belege dafür zu nennen fiel ihm nicht schwer: In keiner Phase des Spiels hätten sie aufgegeben, nach dem Rückstand seien sie nicht eingebrochen, und am Ende „haben wir das Spiel sogar klar bestimmt“. Tatsächlich konnte das Bulletin für den kranken Patienten HSV vornehmlich für die grausame Defensive, die zuvor elf Tore kassiert hatte, Fortschritte bei der Genesung vermelden.

Diesmal aber haperte es im Angriff, dessen vorzügliche Qualitäten dem HSV noch den Ligapokal beschert hatten. Dieser erwies sich, als es nach dem 0:1 durch den schönen Kopfball Juans (28.) darauf ankam, als Sturm im Wasserglas. Zwar erarbeitete sich der Gast häufig optische Vorteile, aber die wichtigste Essenz des Fußballs, der Torschuss, fehlte völlig. „Wir haben gar nicht schlecht gespielt“, ergänzte Neuzugang David Jarolim, „aber zu wenig Torchancen gehabt.“ Kapitän Hoogma brachte es auf die kürzeste Formel: „Vielleicht müssen wir mal öfter auf das Tor schießen.“

Und so erinnerte der HSV nicht nur an moderne Wetteranalysen, sondern auch an den Zustand des Gegners in der letzten Saison. Damals gerierte sich Leverkusen ebenfalls oft als gefühlter Sieger, musste aber zu Beginn der Saison Niederlagen hinnehmen, die die Rheinländer dem Abstieg nahe brachten.

Keine Frage daher, dass erneut Trainerdiskussionen hochkochen werden in Hamburg. Zwar nicht im Verein, wie Bernd Hoffmann bekräftigte, aber in den Medien. „Es hat keiner den Hang“, sagte der HSV-Vorstandschef, „etwas rosig oder schön zu sehen, da brauchen wir nur auf die Tabelle zu gucken“, freilich sei nun „die Sache, dass wir im nächsten Heimspiel gegen Rostock endlich den Sieg einfahren“. Mit einem Wort: Das mittlerweile gute Gefühl muss Entsprechung finden in der Tabelle. Die Trainerfrage wird wohl auch in Hamburg kaum nach gefühlten Siegen entschieden werden.