„Seine Arroganz war faszinierend“

Lange wurden Cash-Liebhaber in Deutschland belächelt – aber der Politikprofessor und Fan Frank Decker hat sich davon nie beirren lassen. Für ihn ist Cash die charismatischste Person, der er je begegnet ist

taz: Herr Decker, darf man als Intellektueller Johnny Cash hören?

Frank Decker: Klar, da befindet man sich in guter Gesellschaft. Als Johnny 70 Jahre alt wurde, da haben alle großen Zeitungen ganzseitige Hommagen gedruckt. Das ist ja eher ungewöhnlich bei einem Künstler populärer Musik.

Was fasziniert Sie als Parteienforscher und Populismusexperten ausgerechnet an diesem Country-Sänger?

Der Sound. Die unbestreitbare Qualität seiner Musik. Seine Innovationen. Country war ja ursprünglich eher reaktionär. Cash hat dann versucht, diese Musik mit dem Folk und mit Sozialkritik zu verbinden.

Das wurde aber in Europa lange nicht wahrgenommen.

Den meinungsführenden 68ern kam ihr Antiamerikanismus in die Quere, den es auch in einer kulturellen Ausprägung gab. Aber das hat sich ja dann in den 90ern geändert. Plötzlich wurde man bewundert, dass man schon so lange treuer Johnny-Cash-Fan ist. Vorher wurde man eher bemitleidet.

Woher kommt die neue Popularität?

Ich glaube, es fasziniert Intellektuelle neben der Musik auch, dass Cash ein „Survivor“ ist. Cash hat exzessiv gelebt, hat Drogen genommen, hat berufliche und private Krisen überstanden. Und er ist in Würde gealtert, hat sich trotz seiner Krankheit nicht unterkriegen lassen. Außerdem besaß er eine Aura von Distanz und Unabhängigkeit, die sich auch viele Intellektuelle wünschen würden. Sie hätten gern diese Johnny-Cash-Arroganz. Er war die charismatischste Person, der ich je begegnet bin.

Sind Sie ihm denn oft begegnet?

Na ja, es hätte schon öfter sein können. Pro Tournee hat unser Fanclub ihn nur um ein Interview gebeten, wir wollten ihm nicht auf die Nerven gehen. Das Gespräch dauerte dann oft auch nur zehn Minuten. Aber er hat uns nie abgewiesen und war immer sehr höflich.

Das wirkt wie eine ferne Liebe.

Wir haben uns beholfen. Zum Beispiel habe ich bei seinen Konzerten heimlich mitgeschnitten.

Ist das nicht illegal?

Als wir erwischt wurden, gab’s Ärger. Aber im Grunde hatte Cash nichts dagegen. Es hat seiner Eitelkeit ja auch geschmeichelt, dass wir ihm über all die Jahre auf den Fersen waren.

Das klingt verrückt.

Es gab Abstufungen in der Verrücktheit. Wir Europäer haben alles gesammelt und akribisch dokumentiert – die amerikanischen Fans gingen meistens nur zu den Konzerten. Da war ich vergleichsweise wenig. Nur bei etwa 100.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN