Ein Mosaik des Krieges

Vor 60 Jahren flogen alliierte Bomber den schwersten Luftangriff des Krieges auf Bremen. Zerstört wurde der Hafen und das Westend. Frauke Wilhelm hat Konzepte zum Gedenken entwickelt

Allein der Turm der Wilhadi-Kirche blieb stehen, als Fliegerbomben den Bremer Westen zu einer Trümmerwüste machten. Der schwerste Luftangriff des Krieges auf Bremen hatte die Hafenanlagen zum Ziel. In der Nacht zum 19. August 1944 wurden innerhalb einer halben Stunde 1.000 Menschen getötet und 50.000 obdachlos. Aus Anlass des 60. Jahrestags findet im Bunker Baumstraße (an der Lloydstraße) eine Gedenkveranstaltung mit Ausstellung statt, die von den Kulturinitiativen „westend“ und „Brodelpott“ gemeinsam mit der evangelischen Immanuel-Gemeinde ausgerichtet wird. Die taz sprach mit Frauke Wilhelm, Projektleiterin, Sängerin und Moderatorin.

taz: Über den Bombenkrieg hat es in letzter Zeit wieder Debatten gegeben.

Frauke Wilhelm: In diese Diskussion darf man sich erst gar nicht hineinbegeben. Durch die Erzählungen der unterschiedlichen Leute, die alle einen anderen Blickwinkel haben, entsteht so etwas wie ein Mosaik. Darauf ist abzulesen, wie es ist, wenn Krieg ist. Was als Position übrig bleibt, ist die Forderung „Nie wieder Krieg!“

Wie wird dies bei der Gedenkveranstaltung umgesetzt?

Die Bombennacht, das Leben während des Kriegs, aber auch die Nachkriegszeit wird von verschiedenen Seiten beleuchtet. In Theaterszenen und in Gesprächen mit Zeitzeugen und GeschichtsforscherInnen aus Bremen. Die haben sich mit dem Alltag im Krieg und in der Nachkriegszeit beschäftigt. Wir sind außerdem mit der Videokamera Straßen im Westend abgefahren und haben in die heutigen Stadtansichten alte Aufnahmen einmontiert. So sieht man die Veränderungen deutlich. Zum Teil verlaufen heute sogar die Straßen anders als vor dem Krieg. Daraus haben wir eine Ton-Bild-Schau über den alten und den neuen Bremer Westen montiert.

Es wird auch Musik geben. Was passt zu einem solchen Anlass?

Der Stephani-Chor singt eine Kantate, die Rudolf Mauersberger unter dem Eindruck der Zerstörung Dresdens komponiert hat. Die Band vom „Guten Abend“ dagegen bringt richtige Moralhochhalte-Schlager wie „Haben Sie schon mal im Dunkeln geküsst?“ Vielleicht macht das den Aufenthalt für manche erträglicher. Ältere Leute müssen sich oft überwinden, diesen Bunker wieder zu betreten. Vor sechzig Jahren waren es draußen dreißig Grad, drinnen saßen 2.000 Menschen. Die Luft zum Atmen musste per Hand in den Bunker gepumpt werden.

Ist die Gedenkveranstaltung eher für Menschen gedacht, die damals betroffen waren, oder soll hauptsächlich den Nachgeborenen ein Eindruck in diese Zeit ermöglicht werden?

Es ist vor allem wichtig, dass die Generationen sich treffen. außerdem muss Zeitzeugenschaft archiviert werden: Bald kann man die nicht mehr fragen, die dabei waren. Das Interesse am Thema ist groß. Die Gedenkveranstaltung ist bereits ausverkauft.

Die Ausstellung im Bunker ist noch bis Samstag geöffnet. Was gibt es dort zu sehen?

Wir haben einzelne Räume mit Installationen zu verschiedenen Themen bestückt. Ein Raum ist zum Beispiel der Nacht im Bunker gewidmet. Dort kann man Funde aus der Bombennacht sehen, die kürzlich erst bei Bauarbeiten in der Hansestraße wieder ans Tageslicht kamen. Dazu gibt es Schnipsel von Augenzeugenberichten vom Band.

Sind die verschiedenen Sichtweisen auch in der Ausstellung ein Thema?

Eine Frau erzählte zum Beispiel, dass sie beim BDM die schönste Zeit ihrer Jugend verbracht hat: Sie hatte Spaß mit den anderen, es gab immer zu essen, den Krieg kannte sie nur von ferne. Bis zu dieser Nacht, die auch sie in diesem Bunker verbracht hat. Auf der anderen Seite gibt es eine Radioansprache von Thomas Mann zu hören, der im Auslandssender der BBC sagte, dass eigentlich jeder Deutsche mit der Bombardierung seines Landes einverstanden sein müsste.

Wie kommen solche unterschiedlichen Einschätzungen einer Zeit zustande?

Es hat auch im Krieg einen Alltag gegeben. Das war ein schwerer Alltag, eine Chronologie der Verknappung und Verschärfung. Dazu hatten die Menschen täglich Angst um ihr Leben. Sie waren so beschäftigt, dass manche Fragen nicht auftauchten. Es gab ganz viele Realitäten nebeneinander: Eine Frau hat berichtet, dass sie morgens um zehn das Essen auf den Herd gestellt hat, damit es fertig war, wenn sie aus dem Bunker kam. Das war genauso „normal“ wie irgendwann ausgebombt zu werden.

INTERVIEW: Peter König

Die Ton-Bild-Schau über den alten und den neuen Bremer Westen wird in Kürze beim „Brodelpott“ auf DVD erhältlich sein. Die Ausstellung im Bunker Baumstraße (Ecke Lloydstr./Hansastr.) ist Donnerstag bis Samstag von 10 bis 16 Uhr geöffnet.