brief an den club: Saal 2
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Weißt du was, Saal 2? Vergiss‘ es einfach. Ich kann dich nicht mehr sehen. Es war mir von Anfang an nicht klar, was an dir das Tolle ist. Es stehen Stühle in dir rum, ein paar Tische, an der Wand hängen zwei, drei Bilder, das Bier ist manchmal kalt, manchmal nicht, auf dem Klo gibt es nichts zum Händetrocknen. Die Musik ist gut. Die anderen Besucher stören nicht weiter, die Tische kippeln. Hat mich ja bisher nicht gestört.

An der Theke sitzen, zumindest nachmittags, irgendwelche Fuzzis. Werbeagentur-, Steuerprüfungs-, Unternehmensberatungs-, Zeitungsschreib-, Wohnungsmakel-, Autobesitz-, Milchkaffeetrink-Fuzzis. Die sagen Sätze wie: „Wir müssen das Projekt mal versuchen von hinten anzudenken.“ Oder auch: „Ich mag es hier. Es ist alles so authentisch. Aber nicht mehr so wie früher.“ Nee nee, stimmt. Auch gerne genommen: „Ich muss mal raus. Sylt oder so.“ Vor ihnen liegt Papier, vermutlich Zeitungen. Sie kippeln mit den Barhockern. Und der Tresen kippelt mit. Aber das hat mich bisher auch nicht gestört.

Letzten Sonntag hat wieder so einer da gesessen. Der hatte seine Freundin mit. Er passte gut zu ihr. Zum Glück hat er nicht gesprochen, auch nicht mit ihr, seine Augen hingen in der Zeitung, einer deutschen Zeitung. „Junge Freiheit“ stand auf dem Titelblatt. Das konnte man sehr gut lesen, eine sehr deutsche Zeitung. Alle haben es gesehen. Irgendwann ist er gegangen, der Fuzzi, mit seiner deutschen Zeitung. Und dann saß nur ich alleine da und habe zur Frau hinter dem Tresen gesagt: „Ich hätte gerne ein Wasser und eine Auschwitzlüge.“

Da hast du vielleicht komisch geguckt, Saal 2, du hypergeile Szene-Kaffetrink-Location am Schulterblatt. Ich kann nur sagen: Da hast du wirklich komisch geguckt. Dabei hättest du eigentlich schon lange selbst drauf kommen können. MARKUS FLOHR