Die Richtkrone

Leerstelle (14): Wie eine Stele die Häme des Volksmunds in der Allee der Kosmonauten unbeschadet überdauert

An dieser Stelle beschäftigen sich Franziska Hauser (Fotos) und Thomas Martin (Text) vierzehntäglich mit den Nebenstellen des Lebens.

Nur ein Arschloch konnte darauf kommen, meinte der Volksmund, als mit einigem Brimborium das Kunstwerk aufgerichtet wurde, das unter dem Titel „Kosmonautenpimmel“ in die ungedruckten Annalen der Allee der Kosmonauten, vormals Springpfuhlstraße, eingehen sollte. Nichts gegen den Oberst Waleri Bykowski, erst recht nicht gegen den Oberstleutnant Sigmund Jähn, die hier nach überstandenem Raumflug (Sojus 31 trifft Salut 6) mit einer Straße und der Ehrenbürgerschaft Berlins belohnt worden sind.

Der Volksmund stieß sich nicht an den sympathischen Kosmonauten, er hatte was gegen den Pomp. Und er kannte den Urheber der offiziell „Richtkrone“ benannten Betonkonstruktion (Stahlbetonstele) nicht, aber er kannte den Bauherrn. Der machte als volkseigen viel von sich reden, verhielt sich aber eigen, wenn es um Belange der Bevölkerung ging. Zu den Eigenheiten des staatlichen Bauherrn zählte die stark eingeschränkte Diskussionsfreiheit, er ließ sich da nicht lumpen mit Drohungen und Tricks. Im Gegenzug war der Bevölkerung versprochen, bis an das Jahr 1990 mit gut gebauten und modernisierten Wohnungen versorgt zu sein; wenn sie sich nur Mühe gebe, schließlich sei sie ja der Bauherr. „DDR – das sind wir!“

1977 ging es richtig los. Nachdem der 9. (IX.) Parteitag der SED das Wohnungsbauprogramm beschlossen hatte im gerade fertig gestellten Palast der Republik, gewissermaßen der Bauhütte des im Politbüro verkörperten Bauherrn, wurde am 8. Juli 1977 die erste Platte der kommenden Großwohnbaugebiete Marzahn und Hellersdorf in die Erde der späteren Marchwitzastraße gesetzt. In Beisein mindestens eines Politbüromitglieds, davon darf ausgegangen werden.

Wenn der Sozialismus ein bleibendes Gesicht hat, dann wird man es hier finden, in der niederbarnimschen Tiefebene am Nordostrand Berlins. Bunt bemalt inzwischen, aufgehübscht und kleingeteilt, um- und zurückgebaut, auch als Privateigentum zu haben, wie es die amtierende kapitalistische Ordnung verlangt. Verwertbar ist alles, auch und erst recht der sozialistische Nachlass. Ihm wird, nach allem was war, noch Raum für den historischen Kontext gegeben, für wenig Geld und Mühe: man erklärt die ideologischen Schaustücke der ostdeutschen Republik nochmals zum Schaustück im kurz erläuterten historischen Zusammenhang („Fakten, Fakten, Fakten“) und übereignet das Gefüge dem Markt. So auch hier, und die Reminiszenzen spielen mit.

Zu ebener Erde flankiert eine Platte in originalgetreuen Maßen (Typ QP 71, 3.600 mm x 2.800 mm) den Mast unter der Krone. Die Platte ist durchbrochen vom Umriss eines aufstrebenden, eines sich festklammernden, eines ausbrechenden – es bleibt ungenau, was. Vermutungen sind im Angebot: der Architekt, Alfred Bernau, hätte sich auf Le Corbusier und die für dessen Wohnmaschinen vorgesehene Raumhöhe von 2,26 Meter bezogen; hier ist sie übertroffen. Der Bauherr schwor, es sei ein Bauarbeiter, der die Hand nach der Decke streckt, sie mit dem Daumen zu vermessen. Ein Kosmonaut wird es nicht sein, sei denn, er ist nackt. Aufstand in der Fickzelle, sagte der Volksmund dazu. Weil Volksmund nicht zu übertrumpfen ist, soll es dabei bleiben.

Die Richtkrone (Kinder bis zehn sagen Rakete) hat die Häme des Volksmunds unbeschadet überdauert, ganz im Gegenteil, sie ist ihr entgegengekommen, sie hat Haare angesetzt. Über die Jahre hat sich ein zarter Strang Efeu aufgemacht zur Kuppe (Krone) und lässt sich befummeln vom Wind, in sechs Meter Höhe inzwischen. Unten am Schaft geht es nicht weniger besinnlich zu, feierlicher auch, schüchterne Kletterrosen rahmen die mit huldvoller Lyrik bestückte Gedenktafel. Um die Ecke hat sich ein Imbiss eingerichtet, hier verkauft ein gebrechlicher Türke Würste und Döner und Saft, und er lenkt das ambitionierte Gedenken um auf die kleineren Sorgen des Alltags. Stellvertretend für den seit je hohen Ausländeranteil im Neubaugebiet, während die ihn schwankend umlungernde Kundschaft auf den neusten Berliner Sozialstrukturatlas verweist, nach dem auf der anderen Seite der Kosmonautenallee (Stadtrandsiedlung Marzahn) der soziale Missstand herrscht. Platz 298, der letzte auf der nach unten offenen Skala. Hier findet sich der Osten in seinen fürchterlichen Klischees, greifen Sie zu.

Von der Perspektive aus lässt sich der steinerne Richtkranz oben auch als Mahnfackel ansehen, für die Zukunft vielleicht. Amtlich ist er Symbol des Bezirks mit seinen 150.000 Einwohnern, Tendenz fallend. Da helfen auch die 5-Zimmer-Wohnungen, die einem hier für 50.000 Euro hinterhergeworfen werden, nicht. Das Angebot verpufft im sozialen Gefälle, das von hier aus nicht viel weiter fallen kann. Ersatzweise sind erschwinglichere Modelle zu haben, die Platte als Kartenspiel und Bastelbogen und – Pendant zur Palme – als Tapete. THOMAS MARTIN