Ein Erzbischof kehrt mit eisernem Besen

Hamburgs oberster Katholik Werner Thissen bekundet „Trauer und Enttäuschung“ – und befiehlt die heftigsten Sparmaßnahmen der Nachkriegszeit

Mit drastischen Sparmaßnahmen reagiert die Leitung des Hamburger Erzbistums auf einen dramatischen Einbruch bei der Kirchensteuer. Gemeinsam mit Generalvikar Franz-Peter Spiza trat Erzbischof Werner Thissen gestern vor die Presse, legte den ersten Geschäftsbericht eines deutschen Bistums vor – und verkündete eine Liste der Grausamkeiten. Um den „finanziellen Kollaps“ zu vermeiden, so Thissen, müsse sein Bistum bis zum Jahr 2006 13 Millionen Euro nachhaltig, also Jahr für Jahr, einsparen. Bei den Kirchengemeinden will er drei, beim Personal sieben und bei der Verwaltung eine Million Euro kürzen.

Die Zahl der eigenständigen Kirchengemeinden in Deutschlands flächengrößtem Bistum, zu dem knapp 400.000 Katholiken zwischen Sylt und dem mecklenburgischen Neustrelitz gehören, soll deshalb bis 2006 um die Hälfte auf 80 reduziert werden. Darüber hinaus werden die Vollzeitstellen im aktiven priesterlichen und pastoralen Dienst um 88,6 auf 346 zusammengestrichen. „Die Minderung soll zu einem großen Teil durch natürliche Fluktuation, also etwa durch Verrentung erreicht werden“, verkündete Spiza kühl. Da dies jedoch nicht ausreichen werde, sei man auf „die Solidarität der Mitarbeiter“ angewiesen – die Bistumsleitung denkt dabei an den sofortigen Verzicht ihrer Angestellten auf Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie auf Tarifsteigerungen. Selbst betriebsbedingte Kündigungen wollte Thissen gestern nicht ausschließen. Einen Einstellungsstopp für Geistliche gebe es gleichwohl nicht: „Jeder junge neue Priester, der kommt und vorbereitet ist, wird eingestellt“, versprach der Erzbischof, „wenn ich ihn nicht bezahlen kann, dann geh‘ ich über die Dörfer und bettele.“

Die Mitarbeiter, die von Thissen und Spiza in den vergangenen Tagen unterrichtet wurden, hätten „mit großer Ernsthaftigkeit und Betroffenheit“ reagiert, berichtete der Erzbischof: „Ich rechne aber nicht damit, dass die mit schwarzen Fahnen vor meiner Wohnung auftauchen.“ Thissen übte dabei einen Spagat zwischen ökonomistischem Vokabular und pastoraler Seelenmassage. „Ich kämpfe dafür, dass keine Kirche, in der geistliches Leben herrscht, geschlossen wird“, sagte der Oberhirte, um sogleich darauf hinzuweisen, dass „Vitalität und Strahlkraft der katholischen Kirche nicht in erster Linie eine Frage der finanziellen Ressourcen, sondern eine Frage von sichtbar gelebtem Glauben und Christus-Beziehung“ seien. Selbstredend gebe es auch bei ihm „Trauer und Enttäuschung“, sagte der Erzbischof – „wohlwissend, dass der Einschnitt für die katholische Kirche bei uns im Norden seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie so groß war“. Er spüre im Bistum, „wie sehr die Menschen an ihrer Kirche hängen und auch bereit sind, selbst etwas dafür zu tun“, so Thissen. Doch da die Kirchensteuern in den letzten Jahrzehnten nur so „gesprudelt“ seien, seien „die Menschen das eben nicht mehr gewohnt“.   Markus Jox